Umstrit­tene Sank­tio­nen gegen poli­ti­sche Rivalen

Fünfter Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, vor dem Appellationsgericht der Stadt Kyjiw
Foto: IMAGO /​ Depo­sit­pho­tos

In der ver­gan­ge­nen Woche hat der Natio­nale Sicher­heits­rat der Ukraine erneut Sank­tio­nen gegen eigene Staats­bür­ger ver­hängt. Echte poli­ti­sche Kon­se­quen­zen hat das nicht. Dass jedoch zuvor auch Ex-Prä­si­dent Petro Poro­schenko, poli­ti­scher Rivale von Wolo­dymyr Selen­skyj und poten­ti­el­ler Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat, mit Sank­tio­nen belegt wurde, sorgte mit Blick auf mög­li­che Neu­wah­len nicht nur in Juris­ten­krei­sen für Stirnrunzeln.

Nor­ma­ler­weise sind Sank­tio­nen ein Instru­ment, das gegen aus­län­di­sche Staats­bür­ger ein­ge­setzt wird. Denn Staats­bür­ge­rin­nen und Staats­bür­ger des eigenen Landes kann – erst recht, wenn sie noch nicht ins Ausland geflo­hen sind – die lan­des­ei­gene Justiz wegen mög­li­cher Ver­bre­chen ver­fol­gen. Dieser Linie ent­spre­chend wurden auch in der Ukraine längst Sank­tio­nen gegen aus­län­di­sche Per­so­nen und Firmen ver­hängt, die dem rus­si­schen Staat und dem Regime von Wla­di­mir Putin nahe­ste­hen. In der ver­gan­ge­nen Woche hat der Natio­nale Sicher­heits­rat unter Vorsitz von Prä­si­dent Selen­skyj aller­dings erneut Sank­tio­nen gegen mehrere ukrai­ni­schen Staats­bür­ger ver­hängt – eine Praxis, die nicht unum­strit­ten ist.

Dabei geht es weniger um die kon­kre­ten Namen, die auf der aktu­el­len Sank­ti­ons­liste stehen. Unter ihnen ist etwa der Blogger Myros­law Oleschko, der sich einst eher natio­na­lis­tisch posi­tio­nierte und Ex-Prä­si­dent Petro Poro­schenko unter­stützte. Oleschko lebt inzwi­schen im Ausland und setzt sich von dort gegen die Mobi­li­sie­rung von Wehr­pflich­ti­gen in der Ukraine ein. Dass er nun mit Sank­tio­nen belegt wurde, hat poli­tisch kei­ner­lei Konsequenzen.

„Natio­na­ler Kriegs­er­klä­rer“ mit rus­sisch­spra­chi­gem Publikum

Etwas anders sieht es im Fall von Oleksij Ares­to­wytsch aus, der eine Zeit­lang als exter­ner Berater des ukrai­ni­schen Prä­si­di­al­amts arbei­tete – sowohl vor dem rus­si­schen Groß­an­griff als auch danach, wobei er aus­ge­rech­net in den Tagen unmit­tel­bar vor dem 24. Februar 2022 ein Rück­tritts­schrei­ben ein­ge­reichte. Nach der Aus­wei­tung des rus­si­schen Angriffs­krie­ges auf das ganze Land wurde Ares­to­wytsch eine Art „natio­na­ler Kriegs­er­klä­rer“, der in den sozia­len Medien täglich die mili­tä­ri­sche Lage ana­ly­sierte – und zwar auf Rus­sisch, wes­we­gen ihm manche schon damals Verrat vor­war­fen. Im Januar 2023 trat er von seiner Bera­tungs­tä­tig­keit für das Prä­si­di­al­amt zurück und verließ unter unge­klär­ten Umstän­den das Land.

Als Blogger erreicht Ares­to­wytsch zwar wei­ter­hin ein nen­nens­wer­tes Publi­kum, vor allem unter rus­sisch­spra­chi­gen Men­schen – und ver­brei­tet inzwi­schen eher russ­land­freund­li­che Nar­ra­tive. Er hat jedoch weder eine ernst­zu­neh­mende poli­ti­sche Gefolg­schaft in der Ukraine noch könnte er sich als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat auf­stel­len lassen, denn dafür müsste er zuvor zehn Jahre lang unun­ter­bro­chen im Land gelebt haben.

Inso­fern ist frag­lich, ob es poli­tisch klug war, Ares­to­wytsch mit Sank­tio­nen zu belegen. Der Ex-Berater des Prä­si­den­ten­bü­ros, der sich als ent­schie­de­ner Gegner von Wolo­dymyr Selen­skyj ver­steht, hält sich über­wie­gend in den USA auf und pflegt dort Ver­bin­dun­gen zur Repu­bli­ka­ni­schen Partei. Teile von deren Anhän­ger­schaft glauben an das Nar­ra­tiv, die Ukraine sei keine Demo­kra­tie und Selen­skyj sei, wie US-Prä­si­dent Donald Trump im Februar behaup­tete, ein „Dik­ta­tor ohne Wahlen“ – ein Nar­ra­tiv, das Ares­to­wytsch nun mit der Andeu­tung, Selen­skyj schaffe sich durch Sank­tio­nen poli­ti­sche Kon­tra­hen­ten vom Hals, mühelos unter­mau­ern kann. Auch in seinem Fall halten sich aber die (innen-)politischen Folgen der Ent­schei­dung in Grenzen, ganz anders als bei Petro Poro­schenko, gegen den der Natio­nale Sicher­heits­rat im Februar Sank­tio­nen ver­hängt hatte.

Ex-Prä­si­dent mit zwei­fel­haf­tem Ruf

Poro­schenko war von 2014 bis 2019 Prä­si­dent der Ukraine. Dass der Groß­un­ter­neh­mer und Olig­arch, der einst unter anderem mehrere Fern­seh­sen­der besaß, kein Hei­li­ger ist, ist bekannt. Gegen ihn sind mehrere Ver­fah­ren anhän­gig – unter anderem beim Staat­li­chen Ermitt­lungs­büro, dem ukrai­ni­schen Pendant zum US-ame­ri­ka­ni­schen FBI –, in denen es über­wie­gend um angeb­li­chen Staats­ver­rat geht.

So soll Poro­schenko zu Beginn des Krieges in der Ost­ukraine unter anderem Kohle von den soge­nann­ten Sepa­ra­tis­ten in den besetz­ten Gebie­ten gekauft haben. Der Fall ist kom­pli­ziert, denn die Sache ist tat­säch­lich heikel – doch unter den dama­li­gen Umstän­den waren Alter­na­ti­ven deut­lich teurer und dem Land stand ein harter Winter bevor. Dass der ehe­ma­lige Prä­si­dent durch die Sank­tio­nen in diesem Jahr zusätz­lich zu den lau­fen­den Ver­fah­ren auch außer­ge­richt­lich sank­tio­niert wurde, ist unge­wöhn­lich und führte zu Unmut im Parlament.

Druck auf Selen­skyjs poli­ti­schen Erzfeind

Dass Selen­skyj und Poro­schenko ein­an­der hassen, ist ein offenes Geheim­nis, und ver­ant­wort­lich dafür sind beide Seiten. Die Art und Weise, wie das Team von Poro­schenko Selen­skyj im Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf 2019 als Dro­gen­ab­hän­gi­gen dar­stellte, war äußerst frag­wür­dig. Die rus­si­sche Pro­pa­ganda griff das Thema anschlie­ßend immer wieder dankbar auf.

Im Fall von Poro­schenko haben die Sank­tio­nen aller­dings tat­säch­lich poli­ti­sche Kon­se­quen­zen. Zwar ist es nicht so, dass Poro­schenko aktuell in der Lage wäre, ein Rennen um das Prä­si­den­ten­amt für sich zu ent­schei­den. Seine Umfra­ge­werte liegen im mitt­le­ren ein­stel­li­gen Bereich. Als Prä­si­den­ten kommen eigent­lich nur Amts­in­ha­ber Selen­skyj und der beliebte Ex-Armee­chef Walerij Salu­schnyj in Frage, der heute Bot­schaf­ter in London ist. Nichts­des­to­trotz hat Poro­schenko wei­ter­hin eine bemer­kens­werte per­sön­li­che Anhän­ger­schaft und bleibt de facto Oppo­si­ti­ons­füh­rer im Par­la­ment. Dass er bei einer mög­li­chen Wahl gern selbst kan­di­die­ren würde, ist offensichtlich.

Sank­tio­nen als unnö­ti­ger poli­ti­scher Schritt

Unter­des­sen sind die kon­kre­ten Inhalte der Sank­tio­nen gegen Poro­schenko teil­weise absurd. Wenn man die ent­spre­chende Ent­schei­dung des Sicher­heits­ra­tes wört­lich nimmt, dürfte er nicht einmal mehr den öffent­li­chen Nah­ver­kehr oder sein eigenes Handy benut­zen. Dass sich Poro­schenko nicht als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat auf­stel­len lassen dürfte, steht in dem Doku­ment hin­ge­gen nicht aus­drück­lich. Aller­dings bräuchte er dafür ein Bank­konto, um das nötige Pfand ein­zu­zah­len kann – und das wie­derum ver­bie­ten die Sanktionen.

Selbst in Kreisen, die Selen­skyj nahe­ste­hen, sind sich daher viele einig: Dieser Schritt war unnötig. Einer­seits schlicht des­we­gen, weil zwi­schen Selen­skyj und Poro­schenko kei­ner­lei wirk­li­che poli­ti­sche Kon­kur­renz besteht. Und ande­rer­seits, weil die Ukraine gerade ange­sichts des schwie­ri­gen Ver­hält­nis­ses zu den USA unter Donald Trump mehr denn je poli­ti­sche Einheit braucht.

Zivil­ge­sell­schaft muss wachsam bleiben

Schon als im Februar 2021 Sank­tio­nen gegen den pro­rus­si­schen Poli­ti­ker und Unter­neh­mer Wiktor Med­wedt­schuk, einen per­sön­li­chen Freund Wla­di­mir Putins, erlas­sen wurden, stieß das in juris­ti­schen Kreisen auf Kritik – obwohl dies damals, kurz vor dem ersten Auf­marsch rus­si­scher Truppen an der ukrai­ni­schen Grenze, durch­aus ange­mes­sen erschien. Schließ­lich kon­trol­lierte Med­wedt­schuk, den der ukrai­ni­sche Inlands­ge­heim­dienst SBU im Früh­jahr 2022 fest­nahm und im Herbst des­sel­ben Jahres bei einem Gefan­ge­nen­aus­tausch an Russ­land übergab, über einen Mit­tels­mann drei pro­rus­si­sche TV-Infor­ma­ti­ons­sen­der mit beacht­li­cher Quote, die ange­sichts eines mög­li­chen Groß­an­griffs durch gezielte Des­in­for­ma­tion die Bedro­hung verstärkten.

Unter den heu­ti­gen Umstän­den aber muss die ukrai­ni­sche Gesell­schaft beson­ders wachsam sein. Denn es gilt wei­ter­hin: Die Mög­lich­kei­ten des Kriegs­rechts erlau­ben juris­tisch bei­spiels­weise ganz legitim auch eine starke Zensur der Medien. Der ukrai­ni­sche Staat setzt diese Mög­lich­kei­ten bei Weitem nicht voll durch, de facto gilt in der Ukraine heute ein Kriegs­recht light. Dennoch erscheint die Aus­wei­tung der Sank­ti­ons­liste als frag­wür­dig – gerade wenn dies einen ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten und den poli­ti­schen Erz­feind des heu­ti­gen Amts­in­ha­bers betrifft.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

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