Ussyk: Der Mann der Widersprüche
Mit seinem Sieg gegen Murat Gassijew in Moskau wurde der ukrainische Boxer Olexander Ussyk zum unumstrittenen Weltmeister – und entfachte eine angeheizte politische Debatte, die auch Wochen danach nicht abflaut. Der Streit um Ussyk zeigt: Auch vier Jahre nach dem Beginn des Konflikts ist sich die ukrainische Gesellschaft über den Umgang mit Russland nicht einig.
Ende Juli hat der ukrainische Boxer Olexander Ussyk Geschichte geschrieben. Mit seinem souveränen Sieg im Finale der ersten Auflage der World Boxing Super Series (WBSS) gegen den jungen Russen Murat Gassijew sicherte Ussyk, selbst aus Simferopol auf der derzeit von Russland annektierten Krim-Halbinsel stammend, nicht nur die begehrte Muhammad-Aly-Trophy, sondern wurde vor allem zum unumstrittenen Weltmeister im Cruisergewicht. Ein gigantischer Erfolg für den ukrainischen Boxsport, der dank Ussyk und Wassyl Lomatschenko auch nach dem Karriereende der beiden Klitschko-Brüder bestens aufgestellt ist.
Der Umgang mit Russland bleibt problematisch
Im Normalfall hätte der Erfolg Ussyks anstelle der angeheizten gesellschaftlichen Debatte lediglich Begeisterung ausgelöst. Doch alleine die Person des 31-jährigen polarisiert sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Und weil Ussyk und seine Promotingagentur K2, die von Wladimir Klitschko geführt wird, letztlich der Austragung des Titelkampfes in der Moskauer Olimpijskyj-Halle zustimmten, obwohl der Boxer zuerst meinte, der Kampf würde in der russischen Hauptstadt nur ohne ihn stattfinden, war eine heiße Diskussion quasi vorbestimmt. Schließlich herrscht in der Ukraine auch vier Jahre nach der Annexion der Krim und dem andauernden Krieg im Osten des Landes kein Konsens in der Frage, wie man grundsätzlich mit Russland umgehen soll. Das zeigte auch die jüngste Debatte um den Boykott der Fußball-WM zeigte. Die Politik sowie der ukrainische Fußballverband riefen mehrheitlich dazu auf, die WM im Nachbarland zu ignorieren. Dennoch konnte der wegen seiner russlandfreundlicheren Ausrichtung umstrittene Sender Inter starke Einschaltquoten vorweisen.
Ussyk als Held der Nation?
Nach dem historischen Sieg Ussyks versuchte die Politik zunächst, die Euphorie-Welle auszunutzen. „Ich werde dem Präsidenten vorschlagen, Ussyk als Helden der Ukraine auszuzeichnen. Ruhm der Ukraine, Ruhm dem unseren Helden“, schrieb unter anderem der Ministerpräsident Wolodymyr Grojsman auf Facebook. Und auch Petro Poroschenko selbst zeigte sich zufrieden und beeindruckt: „Die ukrainische Hymne, die heute in Moskau gespielt wurde, ist ein Symbol unseres Kampfes und der Annäherung unseres Sieges.“ Trotzdem griffen zahlreiche Politiker, wie der für Kultur zuständige Vizepremier Wjatscheslaw Kyrylenko, Ussyk hart an: „Er ist ein super Boxer. Aber noch mehr solche Events in Moskau – und keiner wird an die russische Aggression in der Ukraine mehr glauben. Nur an die sogenannte Freundschaft.“
In der Debatte wurde zudem ein weiterer Aspekt aufgegriffen. Hätte Ussyk dem Kampf in Moskau nicht zugestimmt, hätte er zum einen die einmalige Chance verpasst, unumstrittener Weltmeister zu werden – ein von seinen Verteidigern beliebtes Argument. Zum anderen gehört Boxen de facto, genauso wie Pop-Musik, zur Unterhaltungsbranche und ukrainische Musiker, die nach 2014 immer noch in Russland auftreten, werden hart vom patriotischen Teil der Gesellschaft kritisiert. „Die Sängerin Ani Lorak gewann vor kurzem eine Musikprämie in Moskau. Hätten wir diesen Sieg der Logik der Ussyk-Unterstützer nach feiern sollen?“, schreibt der bekannte Blogger und Aktivist Witalij Dejnega. „Denkt ihr nicht, dass jeder Sieg in Moskau in erster Linie ein Sieg Moskaus ist?“.
Ussyk als Provokateur
Nach seiner Rückkehr in die Ukraine hat Ussyk den Auszeichnungsvorschlag Grojsmans klar abgelehnt. „Ich brauche nichts. Ich bitte nur darum, mir nicht im Wege zu stehen. Mein Volk, meine Fans nehmen mich ohnehin als Helden wahr“, sagte er während der großen Pressekonferenz in einem Kiewer Einkaufszentrum. Auf dieser polarisierte der 31-Jährige politisch wieder – in dem er den kontroversen Exiljournalisten und Blogger Anatolij Scharij lobte. Scharij, damals als Investigativjournalist bekannt, floh 2012 wegen politischen Verfolgung durch die Regierung von Wiktor Janukowytsch in die EU. Mittlerweile betreibt er von dort aus einen Kiew-kritischen Videoblog auf Youtube, der in der Ukraine oft als Teil der russischen Propaganda abgestempelt wird. Es folgte eine weitere Kritikwelle an Ussyk. „Ussyk ist klarer Separatist und spielt seine Rolle im System der russischen Propaganda“, sagte Ajder Muschdabajew, stellvertretender Generaldirektor des ukrainischen krimtatarischen Senders ATR und ehemaliger russischer Journalist. „Scharij und er werden noch mehrmals in einem Zusammenhang erscheinen.“
Diese Diskussion um Ussyk ist allerdings deutlich älter als der Kampf gegen Gassijew in Moskau und dafür hat der gebürtige Simferopoler auch selbst viel Öl ins Feuer gegossen. Nach der Annexion der Krim hat sich der Boxer als ukrainischer Patriot positioniert und sich aus Marketingsicht als Kosak stilisieren lassen – mit patriotischen Liedern als Auflaufmusik. Trotzdem hat Ussyk noch eine Weile in Simferopol gelebt. Heute fährt er noch ab und zu auf die Schwarzmeerhalbinsel, was in seiner neuen Wahlheimat Kiew oft auf Unverständnis stößt. Es sind aber vielmehr seine Aussagen, die Kritik provozieren. So hat Ussyk im April 2016 betont, er trenne Ukrainer und Russen als Völker nicht – und in diesem Jahr sagte er auf die Frage nach der Zugehörigkeit der Krim, die Krim sei eben die Krim. „Nach meinen Siegen wird die ukrainische Hymne gespielt, das ist meine Antwort“, fügte Ussyk hinzu – Aufregung gab es aber dennoch. Seine Unterstützung der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats sowie der traditionellen Familienwerte ist vielen Kritikern ein Dorn im Auge.
Die Ussyk-Debatte als Gradmesser gesellschaftlicher Stimmung
Und so gab es in der Ukraine zuletzt nur wenige Themen, die aktiver als Olexander Ussyk diskutiert wurden. Die Ussyk-Debatte sagt vieles darüber, wo sich die ukrainische Gesellschaft vier Jahre nach dem Beginn des Konflikts mit Russland befindet. Ein großer Teil erwartet, dass Stars wie Ussyk beispielhafte Patrioten sein müssen, die eine klare politische Linie verfolgen. Offen bleibt jedoch die Frage, was im Endeffekt besser ist: Ein Star, der sich aus reinen PR-Gründen ganz und voll zur Ukraine bekennt – oder ein Ussyk, der seinen Beratern viele Kopfschmerzen bereitet, und dennoch möglichst ehrlich in seinen Aussagen ist. So oder so: Besser als Olexander Ussyk kann wohl niemand die Widersprüchlichkeit wiederspiegeln, mit der viele Durchschnittsukrainer seit 2014 täglich konfrontiert werden.
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