Serhij Prytula: Ein Ex-Komiker fordert Selenskyj heraus
Der Ex-Stand-Up-Komiker Serhij Prytula ist eines der bekanntesten Fernsehgesichter der Ukraine. Vor dem 24. Februar 2022 plante der 41-Jährige die Gründung einer eigenen Partei. Der Krieg und Prytulas legendäre Spendenaufrufe für die Armee veränderten alles. Nach dem Krieg könnte ausgerechnet ein Ex-Komiker zum Hauptkonkurrenten Selenskyjs werden.
In Zeiten der vollumfänglichen russischen Invasion wirkt die in der Regel sehr lebendige ukrainische Innenpolitik, als wäre eine Stopptaste gedrückt worden. Zum Teil ist dieser Eindruck durchaus richtig, denn selbst schärfste politische Opponenten des Präsidenten dosieren aus verständlichen Gründen ihre Kritik an dem Oberbefehlshaber sehr sparsam.
Doch hinter der Fassade verbergen sich größere Debatten und Diskussionen. Dass man von der Parlamentsopposition kaum etwas hört, hat auch mit einem anderen Umstand zu tun: Ihre Anführer, sei es Petro Poroschenko oder Julia Tymoschenko, mögen zwar noch in der Werchowna Rada, dem Obersten Rat, sitzen – sie vertreten jedoch eindeutig die Vergangenheit und nicht die Zukunft der Ukraine.
Neue Konkurrenz für Selenskyj
Im politischen Kyjiw ist allen klar: Sollte Selenskyj nach dem Krieg für eine weitere Amtszeit kandidieren, wird er nicht mehr mit seinem Erzrivalen Poroschenko, sondern mit vollkommen neuen Kandidaten konkurrieren. Die Ironie dabei: Poroschenkos nationalliberale Agenda und die dazugehörige politische Flanke könnten von jemanden übernommen werden könnte, der einen ähnlichen Background wie Selenskyj hat.
Der aus der westukrainischen Region Ternopil stammende 41-jährige Fernsehmoderator und Schauspieler Serhij Prytula wurde der breiten Öffentlichkeit in den Nullerjahren vor allem als Stand-up-Komiker bekannt. Er war einer der Stars der beliebten Fernsehsendung Comedy Club UA und moderierte nicht nur die erfolgreichste Frühstückssendung im ukrainischen Fernsehen, sondern in den letzten Jahren auch den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest – in der Ukraine eine Sendung mit Kultstatus.
Prytula hat Erfahrung in der Politik
Anders als Selenskyj während seiner Kandidatur ist Serhij Prytula kein Politikneuling mehr. Schon bei der Parlamentswahl 2019 kandidierte er für die Partei Stimme (ukr. Holos), die einst um den Rockmusiker Swjatoslaw Wakartschuk – dem Herbert Grönemeyer der Ukraine – aufgebaut wurde. Die Stimme schaffte es knapp über die Fünf-Prozent-Hürde, für den Einzug Prytulas reichte es allerdings nicht. Ein Jahr später nahm der Ex-Komiker an der Bürgermeisterwahl in der ukrainischen Hauptstadt teil. Er blieb mit 7,87 Prozent jedoch weit hinter Vitali Klitschko, der sich den Sieg gleich im ersten Wahlgang sicherte. 2021 verließ Prytula die Stimme. Die politisch aktive Zivilgesellschaft hatte große Hoffnung auf die Partei gelegt, die dann aber zum Opfer interner Zwistigkeiten wurde.
Gründung einer eigenen Partei
Als Anfang 2022, kurz vor der russischen Invasion, bekannt wurde, dass Prytula an der Gründung einer eigenen Partei arbeitete, wurde das eher als langfristiges Nischenprojekt betrachtet. Aufgrund der Bekanntheit Prytulas rechnete man zwar durchaus damit, dass er ins Parlament einziehen, nicht jedoch über großen Einfluss verfügen würde. Die Partei sollte in Anspielung auf den ukrainischen Unabhängigkeitstag Politische Partei 24. August heißen. Prytulas Partei wird gegründet werden – es ist lediglich eine Frage der Zeit. Ob der Name dann bleiben wird, ist allerdings unklar.
Wie auch immer Prytulas Projekt am Ende heißen wird: Seine Erfolgsaussichten haben sich durch den Krieg erheblich verbessert. Laut einer im Januar 2023 vom Kyjiwer Internationalen Soziologie-Institut durchgeführten Umfrage sind 49 Prozent der Wähler gegenüber einer möglichen Partei des Fernsehmoderators positiv eingestellt, was dem höchsten Wert aller Parteien entspricht. Lediglich zehn Prozent lehnen die Partei ab. Zum Vergleich: Gegenüber Selenskyjs Partei Diener des Volkes sind 41 Prozent der Befragten positiv eingestellt.
Auch persönlich sieht es für Serhij Prytula gut aus: Nur gegenüber Präsident Selenskyj (91 Prozent) und dem Befehlshaber der Armee Walerij Saluschnyj (87 Prozent) sind die Befragten positiver eingestellt als gegenüber Prytula (81 Prozent).
Grundlegende Veränderung der politischen Landschaft
Wie ist diese wachsende Beliebtheit zu erklären? Zum einen hat sich die politische Landschaft der Ukraine massiv verändert und 2019 waren viele Ukrainer – fünf Jahre nach der Maidan-Revolution, Krim-Annexion und dem Ausbruch des Donbas-Krieges – der patriotischen Agenda Poroschenkos mit seinem Wahlslogan „Armee! Sprache! Glaube!“ müde. Sie wählten Selenskyj explizit als Gegenpart zu seinem Vorgänger. Durch den russischen Angriff steht jedoch Selenskyj nun selbst für „Armee! Sprache! Glaube!“.
Aktuell wünschen sich wohl viele Ukrainerinnen und Ukrainer eine Kombination aus einer einerseits national orientierten und andererseits etwa bei Wirtschaftsfragen liberalen Politik. Und genau dafür wird vermutlich Prytula stehen.
Spendenaktionen für die ukrainischen Streitkräfte
Zum anderen sind es Prytulas Aktivitäten während des Krieges, die ihm den großen Zuwachs an Beliebtheit bescherten. Er initiierte beispielsweise die spektakuläre Spendenaktion Volksbayraktar, bei der in nur drei Tagen rund 15 Millionen Euro gesammelt wurden, um vier Bayraktar-Drohnen für die Armee zu kaufen. Der türkische Hersteller lieferte die Drohnen am Ende kostenlos. Das gesammelte Geld verwendete Prytula stattdessen für den Kauf eines Hightech Satelliten des finnischen Unternehmens ICEYE. Weitere Kampagnen Prytulas ermöglichten den Kauf von insgesamt rund 200 gepanzerten Transportern für die ukrainischen Streitkräfte.
Die Spenden bedeuten jedoch nicht nur eine konkrete und wichtige Hilfe für die ukrainischen Streitkräfte im Kampf gegen die russischen Besatzer – sie sind auch eine vielversprechende Investition in die politische Zukunft Serhij Prytulas.
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