„Selen­skyj hat die ukrai­ni­sche Demo­kra­tie verraten“

Ukrainer:innen protestieren gegen Gesetz, das Antikorruptionsbehörden schwächt. Kyjiw, 23. Juli, 2025
Foto: IMAGO /​ Anadolu Agency

Pres­se­schau 10. Juli bis 22. Juli 2025:
Auf­schrei über Gesetz gegen Anti­kor­rup­ti­ons­be­hör­den +++ Trump: Plötz­li­che Kehrt­wende? +++ Wie­der­auf­bau-Kon­fe­renz mit Fragezeichen

Auf­schrei über Gesetz gegen Antikorruptionsbehörden

Am 22. Juli [Redak­ti­ons­schluss für diese Pres­se­schau] ver­ab­schie­dete das ukrai­ni­sche Par­la­ment über­ra­schend ein Gesetz, das die Unab­hän­gig­keit der Anti­kor­rup­ti­ons­be­hör­den NABU und SAP fak­tisch aus­he­belt. Künftig kann der vom Prä­si­den­ten ernannte Gene­ral­staats­an­walt deren Fälle über­neh­men und an andere Staats­an­walt­schaf­ten wei­ter­lei­ten – etwa im Fall des ehe­ma­li­gen Vize­pre­miers Oleksij Tscher­ny­schow, einem engen Ver­trau­ten Selen­skyjs, dem SAP dubiose Grund­stücks­deals vorwirft.

Trotz mas­si­ver Kritik in sozia­len Medien und Pro­tes­ten in meh­re­ren ukrai­ni­schen Städten unter­zeich­nete Selen­skyj das Gesetz noch am selben Abend. In einer Video­bot­schaft erklärte er, die Anti­kor­rup­ti­ons­in­fra­struk­tur müsse „von rus­si­schem Ein­fluss berei­nigt“ werden. Der Vorgang löste in den Medien die bisher schärfste Kritik am Prä­si­den­ten seit Beginn des rus­si­schen Groß­an­griffs 2022 aus.

Selen­skyj hat seither signa­li­siert, dass er den Druck der Straße und west­li­chen Partner ernst nehmen will. Aber der Angriff auf die Unab­hän­gig­keit der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fungs­be­hör­den wirft ein Schlag­licht auf einen sich seit langem abzeich­nen­den Trend, bei dem der Prä­si­dent und sein innerer Zirkel die Macht kon­so­li­die­ren und Refor­men ausbremsen.

„Ein­fa­chen Abge­ord­ne­ten wurde nichts erklärt“

Babel rekon­stru­iert, wie über­stürzt das Gesetz durchs Par­la­ment gebracht wurde:

„Die Ände­run­gen wurden in den Gesetz­ent­wurf Nr. 12414 ein­ge­fügt, der [eigent­lich] das Leben der Ange­hö­ri­gen jener Men­schen ver­ein­fa­chen sollte, die als ver­misst gelten oder nahe der Front getötet wurden. Dieser Entwurf hatte rein gar nichts mit Anti­kor­rup­ti­ons­be­hör­den zu tun. [Dennoch] nahm der [zustän­dige] Par­la­ments­aus­schuss die Ände­run­gen an. Weder der stell­ver­tre­tende Aus­schuss­vor­sit­zende, Andrii Osad­chuk, noch der Vor­sit­zende des zustän­di­gen Unter­aus­schus­ses und Mit­ver­fas­ser des Gesetz­ent­wurfs, Olek­sandr Bakumov, wurden über die Sitzung informiert.

Bereits am Mittag ver­ab­schie­dete die Wer­chowna Rada das Gesetz inklu­sive aller Ände­run­gen mit 263 Stimmen. [Mit­glie­der der Prä­si­den­ten-Partei] Diener des Volkes sagten gegen­über Babel, ein­fa­chen Abge­ord­ne­ten habe niemand irgend­et­was erklärt – der Gesetz­ent­wurf sei einfach zur Abstim­mung gestellt worden. Selbst einige der Ver­fas­ser [des Ent­wurfs] wussten nichts von den Änderungen.“

„Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fern werden Straf­ta­ten vorgeworfen“

Bereits am 21. Juli wurden die Woh­nun­gen von Dut­zen­den Mit­ar­bei­ten­den des Natio­na­len Anti­kor­rup­ti­ons­bü­ros (NABU) durch­sucht. Hro­madske schil­dert die Hintergründe:

„Den NABU-Mit­ar­bei­ten­den werden schwere Straf­ta­ten vor­ge­wor­fen – dar­un­ter Lan­des­ver­rat, ille­ga­ler Handel mit Russ­land und Kor­rup­tion im Inter­esse von Olig­ar­chen. Gegen einige von ihnen wurde bereits [formell und] öffent­lich der Ver­dacht erhoben [eine Straf­tat began­gen zu haben].

Zu den Fest­ge­nom­me­nen gehört Ruslan Maga­me­dra­su­lov, Leiter der inter­re­gio­na­len Ermitt­lungs­ab­tei­lun­gen beim NABU. Laut [dem ukrai­ni­schen Inlands­ge­heim­dienst] SBU soll er seinem Vater, einem rus­si­schen Staats­bür­ger, dabei gehol­fen haben, Indus­trie­hanf nach Dage­stan zu ver­kau­fen. Seine Mutter lebt in Kyjiw, soll aber eine Rente aus der [von Russ­land kon­trol­lier­ten] ‚Volks­re­pu­blik Donezk‘ bezie­hen und pro­rus­si­sche Kom­men­tare in sozia­len Netz­wer­ken veröffentlichen. […]

Eben­falls in Kyjiw fest­ge­nom­men wurde Viktor Husarov, Mit­ar­bei­ter der NABU-Zen­trale und Mit­glied der gehei­men Eli­te­ein­heit ‚D‑2‘. Ihm wird vor­ge­wor­fen, für einen rus­si­schen Geheim­dienst spio­niert zu haben.“

„Regie­rung stellt EU-Ver­hand­lun­gen infrage“

Die Ent­schei­dung könnte Aus­wir­kun­gen auf die west­li­che Unter­stüt­zung für Kyjiw und den EU-Bei­tritts­pro­zess haben, schreibt Forbes:

„Die unab­hän­gige Arbeit von NABU und SAP ist eine der zen­tra­len Vor­aus­set­zun­gen für die weitere euro­päi­sche Inte­gra­tion der Ukraine. ‚Die Regie­rung hat sich ganz offen­sicht­lich für einen anderen Weg ent­schie­den und [damit] die Bedeu­tung dieser Ver­hand­lun­gen infrage gestellt‘, sagt Kateryna Ryz­henko, stell­ver­tre­tende Geschäfts­füh­re­rin für Rechts­fra­gen bei Trans­pa­rency Inter­na­tio­nal Ukraine.

‚In inter­na­tio­na­len Finanz­in­sti­tu­tio­nen ist man tat­säch­lich besorgt, das stimmt‘, sagt ein hoch­ran­gi­ger Ver­tre­ter einer solchen Insti­tu­tion, der anonym bleiben will. ‚Ich bekomme Dut­zende von Anrufen und Nach­rich­ten.‘ Der Vor­schlag von Pre­mier­mi­nis­te­rin Juliia Swy­ry­denko für ein neues IWF-Pro­gramm, fügt er hinzu, sei nach der mas­si­ven Schwä­chung der Anti­kor­rup­ti­ons­be­hör­den ‚unlo­gisch‘.“

„Selen­skyj hat die ukrai­ni­sche Demo­kra­tie verraten“

In einem Leit­ar­ti­kel mit dem Titel ‚Selen­skyj hat gerade die ukrai­ni­sche Demo­kra­tie ver­ra­ten – und alle, die dafür kämpfen‘ kri­ti­siert The Kyiv Inde­pen­dent, das neue Gesetz mache zen­trale Errun­gen­schaf­ten der ukrai­ni­schen Zivil­ge­sell­schaft zunichte und der Prä­si­dent könne nun „mit einem Tele­fon­an­ruf“ unlieb­same Ermitt­lun­gen gegen Kor­rup­tion stoppen:

„Es sei daran erin­nert, dass die ukrai­ni­sche Infra­struk­tur zur Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung in den Jahren nach der Euro­mai­dan-Revo­lu­tion 2013–2014 auf­ge­baut wurde […] – eine große Errun­gen­schaft für die junge Demo­kra­tie. Nun ver­sucht Prä­si­dent Selen­skyj, diese [Infra­struk­tur] zu zer­stö­ren, um seine Ver­bün­de­ten zu schüt­zen und seine Macht auszubauen.

Der Krieg ist dabei äußerst hilf­reich […]. Es finden keine Wahlen statt und, was viel­leicht noch wich­ti­ger ist, es gab keine Mas­sen­pro­teste. Viele der poli­tisch aktivs­ten Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner, patrio­tisch und kom­pro­miss­los, dienen an der Front oder sind im Kampf gefal­len. (Die ersten Pro­teste gegen die Regie­rung seit Kriegs­be­ginn finden gerade eben statt, während wir diesen Leit­ar­ti­kel ver­öf­fent­li­chen – sie sind eine Reak­tion auf die heutige Par­la­ments­ab­stim­mung und haben die Unter­zeich­nung des Geset­zes durch Selen­skyj höchst­wahr­schein­lich verzögert.) […]

Es ist noch nicht zu spät für west­li­che Partner ein­zu­grei­fen. Es ist möglich, die ukrai­ni­sche Führung so zu beein­flus­sen, dass die Demo­kra­tie geschützt wird, ohne die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit der Ukraine gegen Russ­land zu schwächen.

Mili­tä­ri­sche Hilfe […] sollte nicht an Bedin­gun­gen geknüpft werden – das Über­le­ben der Ukraine […] hat oberste Prio­ri­tät. Aber es wird für aus­län­di­sche Regie­run­gen schwie­rig, im eigenen Land Unter­stüt­zung für solche Hilfe zu finden, wenn sie zulas­sen, dass die Ukraine in eine Auto­kra­tie abglei­tet. Der­selbe Mann, der den Kampf der Ukraine gegen Russ­land reprä­sen­tiert, kann nicht auch die Zer­stö­rung der ukrai­ni­schen Demo­kra­tie repräsentieren. […]

Noch kann die ukrai­ni­sche Demo­kra­tie geret­tet werden. In Frie­dens­zei­ten wäre das die Aufgabe des ukrai­ni­schen Volkes. Aber heute kämpfen – und sterben – Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner für Europa und die gesamte freie Welt. Wird der Westen für sie einstehen?“

Trump: Plötz­li­che Kehrtwende?

Am 14. Juli zeigte sich Donald Trump über­ra­schend „unzu­frie­den“ mit Russ­land und kün­digte an, US-Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine zuzu­las­sen – sofern euro­päi­sche Ver­bün­dete die Kosten tragen. Zudem drohte er Staaten, die rus­si­sches Öl und Gas kaufen, mit Sekun­där­zöl­len. In der Ukraine wurde dies als Kehrt­wende wahrgenommen.

„Donald Trump 2.0 hat fast ein halbes Jahr gebraucht“

Der ukrai­ni­sche Mili­tär­ex­perte Mykola Bie­lies­kov schreibt in NV, Trump sei nun an dem Punkt ange­kom­men, an dem die USA vor Beginn seiner Amts­zeit bereits gestan­den hätten:

„Ent­schei­dend ist, wie das Gesagte wahr­ge­nom­men wird. Nach Dro­hun­gen und Druck auf Kyjiw sowie Andeu­tun­gen, man könne die Ukraine mit Russ­land allein lassen, werden die neuen Initia­ti­ven aus dem Weißen Haus sowohl in Europa als auch hier­zu­lande als großer Fort­schritt und Erfolg gesehen.

Donald Trump 2.0 hat fast ein halbes Jahr gebraucht, um dorthin zu gelan­gen, wo wir schon waren – nämlich zu der Erkennt­nis, dass es keine Alter­na­tive gibt, als der Ukraine zu helfen und Druck auf Russ­land aus­zu­üben, um Bedin­gun­gen für Ver­hand­lun­gen zu schaf­fen. Doch nach einem halben Jahr ‚fire and fury‘ gegen­über der Ukraine wirkt die neue US-Initia­tive nun wie ein großer Segen.“

„Und was pas­siert, wenn Putin am 49. Tag wieder anruft?“

US-Prä­si­dent Trump will seine Zoll­dro­hun­gen erst umset­zen, wenn Russ­land binnen 50 Tagen keinem Waf­fen­still­stand zustimmt. Oleksii Melnyk vom Raz­um­kov-Zentrum ana­ly­siert in NV, wie das inter­pre­tiert wird:

„Ein echtes Ulti­ma­tum ist das kaum. Die tref­fendste Antwort darauf gaben […] die Mos­kauer Börsen: [Trumps Worte] wurden dort als Auf­schub jedes ent­schlos­se­nen Han­delns um 50 Tage ver­stan­den – und rus­si­sche Aktien stiegen sofort. Das zeigt […] am aller­bes­ten, wie dieses Ulti­ma­tum in Moskau wahr­ge­nom­men wurde.

Fünfzig Tage sind wirk­lich eine selt­same Frist. Einige Exper­ten – auch rus­si­sche – ver­mu­ten, Putin habe Trump vor etwa zwei Monaten gesagt, er brauche sechzig Tage, um in der Ukraine einen Sieg zu errin­gen. Zehn Tage sind ver­gan­gen – und Putin bekommt noch fünfzig dazu, bevor Sank­tio­nen drohen und Ulti­ma­ten wie­der­holt werden. Und was pas­siert, wenn Putin am 49. Tag wieder anruft und Trump (mal wieder) mit Kom­pli­men­ten über­häuft? Ich bin nicht sehr opti­mis­tisch, dass jetzt ein Wen­de­punkt erreich ist und Trump endlich aus einer Posi­tion der Stärke heraus agiert. […]

Einige in Russ­land bezeich­nen die fünfzig Tage als ein ‚Fenster der Gele­gen­heit‘ für Russ­land – auch das ist stark über­trie­ben. Denn der Preis, den Russ­land für jeden Tag der Aggres­sion zahlt, und die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen im Land zeigen: Dieser Zer­mür­bungs­krieg trifft beide Seiten glei­cher­ma­ßen. Die eigent­li­che Frage ist: Kann die Ukraine durch­hal­ten, bis in Russ­land alles zusammenbricht?“

Wie­der­auf­bau-Kon­fe­renz mit Fragezeichen

Am 10. und 11. Juli fand in Rom die vierte Kon­fe­renz zum Wie­der­auf­bau der Ukraine (Ukraine Reco­very Con­fe­rence, URC) statt. Die ukrai­ni­sche Dele­ga­tion warb um 500 Mil­li­ar­den US-Dollar für den Wie­der­auf­bau – und erhielt schließ­lich Kredite und Zuschüsse in Höhe von rund 2,6 Mil­li­ar­den Euro sowie Geschäfts­ver­träge in Höhe von zehn Mil­li­ar­den Euro. Ukrai­ni­sche Medien fragen: Wie wirksam ist eine solche Kon­fe­renz, wenn Refor­men stocken und ein Ende des Krieges nicht abseh­bar ist?

„Ver­tei­di­gung statt Wiederaufbau“

Olek­san­dra Betlii vom Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung und Poli­tik­be­ra­tung beschreibt in der mit der Ukra­jinska Prawda ver­bun­de­nen Jew­ro­pe­jska Prawda die Dis­kre­panz zwi­schen den ukrai­ni­schen For­de­run­gen und tat­säch­li­chen Hilfszusagen:

„In diesem Jahr war es manch­mal wie ein Déjà-vu der URC 2022, die im ersten Jahr des großen Kriegs in Lugano statt­fand. Damals herrschte sowohl in Kyjiw als auch in Europa ein gewis­ser roman­ti­scher Opti­mis­mus: Der Krieg werde bald zu Ende sein und der Wie­der­auf­bau könne beginnen.

In Lugano – und auch später – ver­such­ten inter­na­tio­nale Partner, uns zu stoppen, sobald wir über Ver­tei­di­gung spre­chen wollten: […] ‚Lasst uns lieber über den Wie­der­auf­bau reden.‘ Inzwi­schen dauert der Krieg drei­ein­halb Jahre, doch noch immer hörte man auf aus­län­di­scher wie auf ukrai­ni­scher Seite am häu­figs­ten von Wie­der­auf­bau und Erneue­rung. Oft fehlte ein Gefühl dafür, wie drin­gend die Ukraine mili­tä­risch und finan­zi­ell auf eine Art und Weise unter­stützt werden muss, die es ihr ermög­licht, den Krieg zu gewinnen.

Aus­sa­gen wie ‚Wir stehen so lange an eurer Seite, wie es nötig ist‘ oder ‚Wir müssen diese Drohnen und Raketen stoppen, die euch angrei­fen‘ wurden nicht immer mit kon­kre­ten Maß­nah­men unterfüttert.

Deshalb stimme ich jenen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zu, die finden, diese Kon­fe­renz sollte umbe­nannt werden, um das Nar­ra­tiv zu ver­än­dern. Viel­leicht in ‚Kon­fe­renz für die Resi­li­enz der Ukraine‘ oder sogar in ‚Kon­fe­renz für Resi­li­enz und Ver­tei­di­gung der Ukraine‘? Denn wie sonst lässt sich ver­mit­teln, wie drin­gend wir diesen Krieg gewin­nen müssen und jene Wider­stands­fä­hig­keit bewah­ren, die heute in der Ukraine fra­gi­ler ist denn je?“

„Tiefer Graben“ in der ukrai­ni­schen Zivilgesellschaft

In NV beschreibt der Unter­neh­mer und Hoch­schul­do­zent Valerii Pekar die wach­sende Kluft zwi­schen zwei Lagern der ukrai­ni­schen Zivilgesellschaft:

„Ukrai­ni­sche Per­sön­lich­kei­ten des öffent­li­chen Lebens, Unter­neh­mer, Poli­ti­ke­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler, die zur Wie­der­auf­bau-Kon­fe­renz nach Rom reisten, ver­tre­ten zwei deut­lich unter­schied­li­che Posi­tio­nen – und zwi­schen ihnen ver­läuft ein tiefer Graben.

Die einen sind der Ansicht, man müsse offen mit dem Westen […] über die eigenen Pro­bleme und geschei­terte Refor­men spre­chen. Nur so lasse sich die ukrai­ni­sche Regie­rung dazu bewegen, diese Pro­bleme zu lösen und Refor­men umzu­set­zen – denn sie sei nicht in der Lage, auf die eigene Gesell­schaft zu hören, also solle sie zumin­dest auf ihre west­li­chen Partner hören. Ohne diese offen­sicht­li­chen [innen­po­li­ti­schen] Miss­stände zu beheben, sei es unmög­lich, den Krieg zu gewin­nen. Deshalb müsse man offen über Kor­rup­tion, Ver­sa­gen beim Aufbau rechts­staat­li­cher Struk­tu­ren, unrecht­mä­ßi­gen Druck auf die Wirt­schaft und ähn­li­che Pro­bleme spre­chen. Im Grunde fordern diese Stimmen von inter­na­tio­na­len Part­nern, Druck auf die ukrai­ni­sche Regie­rung ausüben und ihr kein Geld zur Ver­fü­gung zu stellen, solange nicht ent­schlos­sene und […] längst ver­spro­chene Schritte in diese Rich­tung erfolgen.

Die anderen glauben, die Ukraine müsse in erster Linie mit den nötigen Finanz­mit­teln ver­sorgt werden, sonst drohe der völlige Zusam­men­bruch. Jede öffent­li­che Dis­kus­sion über Kor­rup­tion und nicht ein­ge­hal­tene Zusagen führe zwangs­läu­fig zur Kürzung von Hilfs­gel­dern, stärke die Posi­tion der Gegner der Ukraine […] im west­li­chen und inter­na­tio­na­len Estab­lish­ment und liefere der rus­si­schen Pro­pa­ganda zusätz­li­che Muni­tion. Wenn Wirt­schaft und Front­li­nie nicht stand­hiel­ten, sei ohnehin alles vergebens.

Die erste Gruppe wirft der zweiten […] vor, sich der Regie­rung anzu­bie­dern, mög­li­cher­weise aus Eigen­nutz. Die zweite [wie­derum] wirft der ersten vor, das Gemein­wohl zu ver­nach­läs­si­gen, per­sön­li­che Ambi­tio­nen zu ver­fol­gen und lieber zu reden als zu handeln. Beide Seiten werfen ein­an­der vor, in einer Schein­welt zu leben und sich der Rea­li­tät nicht stellen zu wollen.“

Anton Semyz­henko ist Redak­teur der eng­lisch­spra­chi­gen Ausgabe von babel.ua in Kyjiw mit über 15 Jahren Berufs­er­fah­rung als Jour­na­list im ukrai­ni­schen Medienbetrieb.

Chris­tian-Zsolt Varga ist freier Aus­lands­kor­re­spon­dent mit Schwer­punkt Ukraine, Ungarn und Europas Osten und berich­tet für ver­schie­dene euro­päi­sche Medien aus Kyjiw.

Ukrai­ni­sche Medien

Die Online-Zeitung Ukra­jinska Prawda ver­öf­fent­licht als regie­rungs­kri­ti­sches Medium inves­ti­ga­tive Artikel und deckte auch Kor­rup­ti­ons­fälle inner­halb der ukrai­ni­schen Regie­rung auf. Sie zählt zu den meist­ge­nutz­ten Nach­rich­ten­por­ta­len der Ukraine.

Die Ukra­jinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrai­nisch-geor­gi­schen Jour­na­lis­ten Heorhij Gon­gadse gegrün­det, der im dar­auf­fol­gen­den Jahr – angeb­lich auf Ver­an­las­sung des dama­li­gen Prä­si­den­ten Leonid Kut­schma – ermor­det wurde. Die heutige Chef­re­dak­teu­rin ist die bekannte ukrai­nisch-krim­ta­ta­ri­sche Jour­na­lis­tin Sevgil Mus­aieva.

Im Mai 2021 ver­kaufte die dama­lige Eigen­tü­me­rin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrai­ni­sche Invest­ment-Manage­ment-Gesell­schaft, die vom tsche­chi­schen Unter­neh­mer Tomáš Fiala gelei­tet wird.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 69,6 Millionen

Das Online-Nach­rich­ten­por­tal und ‑Fern­se­hen Hro­madske finan­ziert sich über Crowd­fun­ding bei seinen Lese­rin­nen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien auf­ge­nom­mene Videos.

Hro­madske wurde als NGO mit dazu­ge­hö­ri­gen Online-Medien im Novem­ber 2013 mit Beginn des Euro­mai­dan gegrün­det. Die jetzige Chef­re­dak­teu­rin ist die ukrai­ni­sche Jour­na­lis­tin Jewhe­nija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Kor­rup­tion in ukrai­ni­schen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den befasst hat.

Die Wei­ter­ent­wick­lung von Hro­madske wird von einem Vor­stand vor­an­ge­trie­ben, der aus sieben pro­mi­nen­ten ukrai­ni­schen Per­sön­lich­kei­ten besteht, dar­un­ter Nobel­preis­trä­ge­rin Olek­san­dra Matwijtschuk.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 2,8 Millionen

Der ukrai­ni­sche Fern­seh­sen­der mit Online-Nach­rich­ten­por­tal, dessen Chef­re­dak­teu­rin die ukrai­ni­sche Jour­na­lis­tin Chry­styna Hawryl­juk ist, wird finan­zi­ell von der ukrai­ni­schen Regie­rung unter­stützt. In diesem Zusam­men­hang hat sich die Website einer aus­ge­wo­ge­nen Bericht­erstat­tung verpflichtet.

Das renom­mierte Insti­tute of Mass Infor­ma­tion führte Suspilne.Novyny im Sep­tem­ber 2021 auf der soge­nann­ten „weißen Liste“ ukrai­ni­scher Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuver­läs­si­gen Infor­ma­tio­nen bieten.

Suspilne.Novyny wurde im Dezem­ber 2019 gegrün­det und gehört zur Natio­na­len öffent­li­chen Rund­funk­ge­sell­schaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staat­li­che Rund­funk­an­stalt ent­spre­chend euro­päi­schen Stan­dards in eine öffent­li­che Rund­funk­ge­sell­schaft umge­wan­delt worden.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 7,4 Millionen

NV ist eine Print- und Online-Zeit­schrift, deren Schwer­punkt auf Nach­rich­ten aus dem Ausland und der ukrai­ni­schen Politik liegt. Zu den Haupt­the­men zählen die inter­na­tio­nale Unter­stüt­zung der Ukraine, Kor­rup­tion sowie die künf­tige Ent­wick­lung des Landes. Die Online-Ausgabe ver­öf­fent­lich oft Artikel renom­mier­ter aus­län­di­scher Medien wie The Eco­no­mist, The New York Times, BBC und Deut­sche Welle. Die Zeit­schrift erscheint frei­tags als Druck­aus­gabe auf Ukrai­nisch, die Website ist auf Ukrai­nisch, Rus­sisch und Eng­lisch ver­füg­bar. NV gilt als eine der zuver­läs­sigs­ten Nach­rich­ten­quel­len in der Ukraine.

NV wurde im Jahr 2014 – ursprüng­lich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrai­ni­schen Jour­na­lis­ten Witalij Sytsch gegrün­det, der die Chef­re­dak­tion über­nahm. Zuvor arbei­tete Sytsch bei dem eben­falls popu­lä­ren Magazin Kor­re­spon­dent. Er verließ Kor­re­spon­dent, nachdem es an Serhij Kur­tschenko – einen Janu­ko­wytsch nahe­ste­hen­den Olig­ar­chen aus Charkiw – ver­kauft worden war. NV gehört zum Ver­lags­haus Media-DK, dessen Eigen­tü­mer der tsche­chi­sche Unter­neh­mer Tomáš Fiala ist.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 27,1 Millionen

Dser­kalo Tyschnja liefert Hin­ter­grund­be­richte und Ana­ly­sen; das The­men­spek­trum umfasst poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che, soziale und kul­tu­relle Themen. Die Zeitung betrach­tet die ukrai­ni­sche Politik und deren Akteure in einem inter­na­tio­na­len Zusam­men­hang. Dser­kalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrai­ni­scher Medien, die zuver­läs­sige Infor­ma­tio­nen liefern.

Dser­kalo Tyschnja ist eine der ältes­ten ukrai­ni­schen Zei­tun­gen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online ver­füg­bar: auf Ukrai­nisch, Rus­sisch und Eng­lisch. Chef­re­dak­teu­rin ist die bekannte ukrai­ni­sche Jour­na­lis­tin Julija Mostowa, Ehefrau des ehe­ma­li­gen ukrai­ni­schen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ters Ana­to­lij Hrysenko.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 4,7 Millionen

Das ukrai­ni­sche Online-Magazin Babel wurde im Sep­tem­ber 2018 gegrün­det. Das The­men­spek­trum umfasst soziale und poli­ti­sche Themen; beson­de­res Augen­merk gilt aber auch Nach­rich­ten aus der Wis­sen­schaft und über neue Technologien.

Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor eben­falls ange­bo­tene rus­si­sche Version der Website geschlos­sen. Statt­des­sen wird nun eine eng­li­sche Version ange­bo­ten. Babel finan­ziert sich über Spenden. Die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter von Babel enga­gie­ren sich in zahl­rei­chen Pro­jek­ten, die darauf abzie­len, die ukrai­ni­schen Streit­kräfte während des Krieges zu unterstützen.

Die Eigen­tü­mer des Online-Maga­zins sind der erste Chef­re­dak­teur Hlib Husjew, Kateryna Kober­nyk und das slo­wa­ki­sche Unter­neh­men IG GmbH.

Heute ist die ukrai­ni­sche Jour­na­listin Kateryna Kober­nyk Chef­re­dak­teurin von Babel.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 1,1 Millionen

Das Online-Magazin LB gehört zum Hor­schenin-Insti­tut, einer ukrai­ni­schen Denk­fa­brik, die sich mit poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Pro­zes­sen in der Ukraine und der Welt beschäf­tigt. LB hat sich auf Inter­views spe­zia­li­siert; häufige Themen sind die ukrai­ni­sche Innen- und inter­na­tio­nale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.

LB wurde im Juni 2009 unter dem Namen Liwyj Bereh gegrün­det, Chef­re­dak­teu­rin Sonja Kosch­kina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „Kish­kiNA“, auf dem sie Inter­views mit ver­schie­de­nen Per­so­nen veröffentlicht.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 2 Millionen

Im Fokus des ukrai­ni­schen im Jahr 2000 gegrün­de­ten Online-Nach­rich­ten­por­tals LIGA stehen wirt­schaft­li­che, poli­ti­sche und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrai­ni­scher Medien, die stets präzise Infor­ma­tio­nen und zuver­läs­sige Nach­rich­ten anbieten.

Chef­re­dak­teu­rin ist die ukrai­ni­sche Jour­na­lis­tin Julija Bankowa, die davor eine lei­tende Posi­tion bei dem Online-Magazin Hro­madske hatte.

Der Eigen­tü­mer des Nach­rich­ten­por­tals ist die ukrai­ni­sche unab­hän­gige Media­hol­ding Liga­me­dia, deren Geschäfts­füh­rer Dmytro Bon­da­renko ist.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 8,5 Millionen

Censor prä­sen­tiert sich als Website mit „emo­tio­na­len Nach­rich­ten“. Der Fokus liegt vor allem auf innen­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen. Seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukraine sind viele Bei­träge den Ereig­nis­sen an der Front und den ukrai­ni­schen Streit­kräf­ten gewid­met. Censor ist auf drei Spra­chen ver­füg­bar: Ukrai­nisch, Rus­sisch und Englisch.

Das Nach­rich­ten­por­tal Censor wurde 2004 vom bekann­ten ukrai­ni­schen Jour­na­lis­ten Jurij Butusow gegrün­det und zählt zu den popu­lärs­ten Nach­rich­ten­sei­ten des Landes. Butusow gilt als schar­fer Kri­ti­ker von Prä­si­dent Selen­skyj. Er erhebt schwere Vor­würfe in Bezug auf Kor­rup­tion inner­halb der ukrai­ni­schen Regie­rung, schlechte Vor­be­rei­tung auf den Krieg gegen Russ­land und unbe­frie­di­gende Ver­wal­tung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Men­schen auf Face­book gelesen. Seine Posts auf dem sozia­len Netz­werk haben enormen Ein­fluss und lösen hitzige Dis­kus­sio­nen aus.

Aufrufe der Website im Mai 2023: 59 Millionen

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