Presseschau (3. bis 16. August 2023)
Zu den meistdiskutierten Themen in den ukrainischen Medien zählten die Korruptionsvorwürfe gegen Rekrutierungsbüros, die ukrainische Gegenoffensive und die westlichen Waffenlieferungen, unter anderem von deutschen Taurus-Marschflugkörpern. Auch die Appelle des ukrainischen Parlaments an die Weltöffentlichkeit und die Verwendung knapper Finanzmittel in Zeiten des Krieges wurden thematisiert.
Schwierigkeiten der ukrainischen Rekrutierungsbüros
Der ukrainische Präsident Selenskyj entließ vor einigen Tagen alle Leiter der regionalen Rekrutierungsbüros der Ukraine, da gegen viele von ihnen Korruptionsvorwürfe erhoben werden. Hromadske greift dieses Thema auf. Es sei geplant, die entlassenen Leitungskräfte durch Offiziere mit Kampferfahrung zu ersetzen, die aufgrund ihrer Verletzungen nicht wehrdiensttauglich seien. Der ukrainische Reserveoberst Serhij Hrabskyj kritisiert das geplante Vorgehen. Hromadske zitiert ihn mit den Worten: „Gut, wir entlassen alle Leiter der Rekrutierungsbüros. Aber durch wen ersetzen wir sie? Es ist recht problematisch, die Leute einfach rauszuwerfen und sie durch andere zu ersetzen, die über keine Erfahrung in der Position haben, auch wenn sie sehr begabt sein mögen.“ Die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NASK) ist ähnlicher Meinung. „Wenn wir bloß neue Leitungskräfte einsetzen, die wir dann aber in das System mit den bestehenden Korruptionsrisiken integrieren, werden wir Hunderte und Tausende neue Strafverfahren haben. Wir müssen das System von Grund auf ändern“, so der Leiter der NASK, Oleksandr Nowikow.
Liwyj Bereh lässt zu dem Thema Wiktor Kewljuk, Experte des Zentrums für Verteidigungsstrategien, zu Wort kommen. Kewljuk zufolge gehen die Probleme der Rekrutierungsbüros auf die ersten Jahre der ukrainischen Unabhängigkeit zurück. Es sei nicht gerecht, diese Büros zu beschuldigen, während der Staat lange Zeit untätig geblieben sei. „Soll heißen, die Rekrutierungsbüros sind wieder an allem schuld, und der Staat hat nichts damit zu tun. […] Sollen die Rekrutierungsbüros auch die Volkswirtschaft, die Tätigkeit von Behörden, anderen staatlicher Einrichtungen, von Organen der lokalen Selbstverwaltung, von Unternehmen, Institutionen und Organisationen in dieser besonderen Zeit zum Laufen bringen?“
Stand der Gegenoffensive und Waffenlieferungen des Westens
Die russischen Verteidigungslinien seien instabil und kurz davor, zusammenzubrechen, insbesondere im Süden der Ukraine, meint der ukrainische Militärexperte, Pawlo Naroschnyj in einem in der NV veröffentlichten Interview. Das Hauptproblem der russischen Armee sei das „Ausbluten der Artillerie“. Problem Nummer zwei sei die ständige und erfolgreiche Dezimierung der russischen Truppen durch gegnerische Artillerie. „Wenn es keine Soldaten gibt, die die zweite und die dritte Linie verteidigen können, kann man diese Linien relativ leicht überwinden“, so Naroschnyj, „die Situation bei Kupjansk und auch in den Regionen Luhansk und Donezk sieht ganz anders aus. […] Dort können wir uns nur verteidigen und jetzt nichts anderes tun.“
Auch Anatolyj Schtefan, Oberst der ukrainischen Armee, äußerte sich in einem Interview mit Censor zur ukrainischen Gegenoffensive. „Die Offensive stieß bisher auf gut vorbereitete Verteidigungslinien. Man muss verstehen, dass die russischen Truppen nicht einfach nur herumgesessen haben, sie haben vermint, Schützengräben ausgehoben und betoniert“, sagt Schtefan. „Das Problem ist auch, dass die westlichen Medien vor allem für ihre eigenen Steuerzahler arbeiten.“ Wenn der Ukraine Hilfe geleistet werde, müssten sie ihren Bürgern erklären, warum dies geschehe. Deshalb würden in westlichen Medien manchmal konkrete Termine für das Erreichen bestimmter Etappen [der Offensive, Anmerkung der Redaktion] genannt. Dem entgegnet Schtefan: „Aber ich wiederhole: Unser Hauptziel ist es, das Leben unserer Soldaten so weit wie möglich zu schützen und unsere Territorien schrittweise bis zu den Grenzen von 1991 zu befreien.“
In der Ukrajinska Prawda wird die Lieferung der deutschen Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine diskutiert: „Kyjiw bittet seit Monaten um einen bestimmten Typ von Ausrüstung, während Kanzler Scholz immer noch zögert und der Druck in der deutschen Politik zunimmt.“ Seit Monaten wiederhole der Kanzler, die Unterstützung Berlins ziele auf die Luftabwehr ab, damit sich das Land vor russischen Raketen- und Drohnenangriffen schützen könne, sowie auch auf technische und gepanzerte Fahrzeuge und die Ausbildung ukrainischer Soldaten. Einer der Gründe der Verzögerungstaktik liege darin, dass die deutsche Regierung nicht ohne ihre Hauptverbündeten handeln wolle. Aber es gebe im Bundestag, insbesondere in der Regierungskoalition, immer mehr Abgeordnete, die Scholz dazu drängten, eine Entscheidung zu treffen.
Für die Ukrajinska Prawda steht fest: „In der Ukraine hofft man, dass die öffentliche Diskussion über die Taurus-Marschflugkörper die Regierung Scholz bald zu einer positiven Entscheidung bewegen wird.“
Entsprechend zitiert auch NV die Aussage des am 14. August in Kyjiw eingetroffenen deutschen Finanzministers Christian Lindner. Lindner unterstütze die Lieferung der Taurus- Marschflugkörper an die Ukraine. Dem Minister zufolge hätten sich viele für diese Unterstützung ausgesprochen, und er hoffe darauf, dass diese Frage in nächster Zeit geklärt werde. Die deutsche Regierung müsse sich mit ihren Verbündeten beraten, bevor eine Entscheidung getroffen werde.
Appelle der Werochwna Rada – „internationaler Spam“?
Die Ukrajinska Prawda kritisiert die Flut an Appellen des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada: „In Zeiten des großen Krieges scheinen ukrainische Parlamentarier eine ‚Universalmedizin‘ erfunden zu haben. Die Werchowna Rada versucht, alle Probleme mit Appellen zu lösen.“ Sie wende sich damit nicht nur an ihre üblichen Partner wie andere Parlamente, sondern auch an internationale Gerichte und Organisationen. Dennoch wirke diese „Medizin“ nicht, deswegen richte das Parlament übermäßig viele Appelle an die Öffentlichkeit, wiederhole sie und adressiere auch falsche Ansprechpartner. Das sei jedoch eine sehr ungeschickte Strategie, und die Kommunikation der Ukraine drohe dadurch zu „internationalem Spam“ zu werden. „Um die Aufmerksamkeit der Welt zu erhalten, muss die Ukraine bewusst um sie kämpfen und die Aufmerksamkeit der führenden Politiker und Gesellschaften der Welt auf sich ziehen. Wenn wir jedoch ‚den Äther verstopfen‘, wenn wir chaotisch agieren, unsere Positionen ändern und keine Prioritäten setzen, ist das nicht hilfreich, sondern führt eher zu Ablehnung.”
Verwendung knapper Finanzmittel in Zeiten des Krieges
„Trotz des Aufrufs von Selenskyj ‚vergraben‘ Beamte weiterhin Millionen im Asphalt“ – unter diesem Titel thematisiert Censor die Ausgaben lokaler Beamter für die Verschönerung ihrer Städte – und die Kritik, die daran von der ukrainischen Gesellschaft und dem Präsidenten geübt wird. Trotz der öffentlichen Mahnungen von Wolodymyr Selenskyj würden regionale Beamte weiterhin Anschaffungen für Bepflanzung, Landschaftsgestaltung, Straßenerneuerungen und Bürgersteige tätigen. Selenskyj hatte betont, die Verteidigung habe oberste Priorität. „Wir werden den Feind nicht mit Pflastersteinen aus unserem Land vertreiben,” so Selenskyj. Vor dem Hintergrund dieser Aufrufe hätten einige Gemeinden ihre „Verbesserungsprojekte“ rasch abgebrochen. Auf andere aber habe die Mahnung des Präsidenten keinen Eindruck gemacht, und sie würden auch weiterhin Verbesserungen des Asphalts usw. realisieren.
Gefördert durch:
Ukrainische Medien
Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda veröffentlicht als regierungskritisches Medium investigative Artikel und deckte auch Korruptionsfälle innerhalb der ukrainischen Regierung auf. Sie zählt zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen der Ukraine.
Die Ukrajinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrainisch-georgischen Journalisten Heorhij Gongadse gegründet, der im darauffolgenden Jahr – angeblich auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – ermordet wurde. Die heutige Chefredakteurin ist die bekannte ukrainisch-krimtatarische Journalistin Sevgil Musaieva.
Im Mai 2021 verkaufte die damalige Eigentümerin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrainische Investment-Management-Gesellschaft, die vom tschechischen Unternehmer Tomáš Fiala geleitet wird.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 69,6 Millionen
Das Online-Nachrichtenportal und ‑Fernsehen Hromadske finanziert sich über Crowdfunding bei seinen Leserinnen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien aufgenommene Videos.
Hromadske wurde als NGO mit dazugehörigen Online-Medien im November 2013 mit Beginn des Euromaidan gegründet. Die jetzige Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Jewhenija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Korruption in ukrainischen Strafverfolgungsbehörden befasst hat.
Die Weiterentwicklung von Hromadske wird von einem Vorstand vorangetrieben, der aus sieben prominenten ukrainischen Persönlichkeiten besteht, darunter Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk.
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Der ukrainische Fernsehsender mit Online-Nachrichtenportal, dessen Chefredakteurin die ukrainische Journalistin Chrystyna Hawryljuk ist, wird finanziell von der ukrainischen Regierung unterstützt. In diesem Zusammenhang hat sich die Website einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet.
Das renommierte Institute of Mass Information führte Suspilne.Novyny im September 2021 auf der sogenannten „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuverlässigen Informationen bieten.
Suspilne.Novyny wurde im Dezember 2019 gegründet und gehört zur Nationalen öffentlichen Rundfunkgesellschaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staatliche Rundfunkanstalt entsprechend europäischen Standards in eine öffentliche Rundfunkgesellschaft umgewandelt worden.
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NV ist eine Print- und Online-Zeitschrift, deren Schwerpunkt auf Nachrichten aus dem Ausland und der ukrainischen Politik liegt. Zu den Hauptthemen zählen die internationale Unterstützung der Ukraine, Korruption sowie die künftige Entwicklung des Landes. Die Online-Ausgabe veröffentlich oft Artikel renommierter ausländischer Medien wie The Economist, The New York Times, BBC und Deutsche Welle. Die Zeitschrift erscheint freitags als Druckausgabe auf Ukrainisch, die Website ist auf Ukrainisch, Russisch und Englisch verfügbar. NV gilt als eine der zuverlässigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine.
NV wurde im Jahr 2014 – ursprünglich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrainischen Journalisten Witalij Sytsch gegründet, der die Chefredaktion übernahm. Zuvor arbeitete Sytsch bei dem ebenfalls populären Magazin Korrespondent. Er verließ Korrespondent, nachdem es an Serhij Kurtschenko – einen Janukowytsch nahestehenden Oligarchen aus Charkiw – verkauft worden war. NV gehört zum Verlagshaus Media-DK, dessen Eigentümer der tschechische Unternehmer Tomáš Fiala ist.
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Dserkalo Tyschnja liefert Hintergrundberichte und Analysen; das Themenspektrum umfasst politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen. Die Zeitung betrachtet die ukrainische Politik und deren Akteure in einem internationalen Zusammenhang. Dserkalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die zuverlässige Informationen liefern.
Dserkalo Tyschnja ist eine der ältesten ukrainischen Zeitungen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online verfügbar: auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Chefredakteurin ist die bekannte ukrainische Journalistin Julija Mostowa, Ehefrau des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Anatolij Hrysenko.
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Das ukrainische Online-Magazin Babel wurde im September 2018 gegründet. Das Themenspektrum umfasst soziale und politische Themen; besonderes Augenmerk gilt aber auch Nachrichten aus der Wissenschaft und über neue Technologien.
Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor ebenfalls angebotene russische Version der Website geschlossen. Stattdessen wird nun eine englische Version angeboten. Babel finanziert sich über Spenden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babel engagieren sich in zahlreichen Projekten, die darauf abzielen, die ukrainischen Streitkräfte während des Krieges zu unterstützen.
Die Eigentümer des Online-Magazins sind der erste Chefredakteur Hlib Husjew, Kateryna Kobernyk und das slowakische Unternehmen IG GmbH. Heute ist der ukrainische Journalist Jewhen Spirin, der aus dem besetzten Luhansk stammt, Chefredakteur von Babel.
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Das Online-Magazin Liwyj Bereh gehört zum Horschenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen in der Ukraine und der Welt beschäftigt. Liwyj Bereh hat sich auf Interviews spezialisiert; häufige Themen sind die ukrainische Innen- und internationale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.
Liwyj Bereh wurde im Juni 2009 gegründet, Chefredakteurin Sonja Koschkina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „KishkiNA“, auf dem sie Interviews mit verschiedenen Personen veröffentlicht.
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Im Fokus des ukrainischen im Jahr 2000 gegründeten Online-Nachrichtenportals LIGA stehen wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die stets präzise Informationen und zuverlässige Nachrichten anbieten.
Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Julija Bankowa, die davor eine leitende Position bei dem Online-Magazin Hromadske hatte.
Der Eigentümer des Nachrichtenportals ist die ukrainische unabhängige Mediaholding Ligamedia, deren Geschäftsführer Dmytro Bondarenko ist.
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Censor präsentiert sich als Website mit „emotionalen Nachrichten“. Der Fokus liegt vor allem auf innenpolitischen Entwicklungen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind viele Beiträge den Ereignissen an der Front und den ukrainischen Streitkräften gewidmet. Censor ist auf drei Sprachen verfügbar: Ukrainisch, Russisch und Englisch.
Das Nachrichtenportal Censor wurde 2004 vom bekannten ukrainischen Journalisten Jurij Butusow gegründet und zählt zu den populärsten Nachrichtenseiten des Landes. Butusow gilt als scharfer Kritiker von Präsident Selenskyj. Er erhebt schwere Vorwürfe in Bezug auf Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung, schlechte Vorbereitung auf den Krieg gegen Russland und unbefriedigende Verwaltung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Menschen auf Facebook gelesen. Seine Posts auf dem sozialen Netzwerk haben enormen Einfluss und lösen hitzige Diskussionen aus.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 59 Millionen
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