Presseschau (26. Juli bis 2. August 2023)
Die Themen Korruption, Korruptionsbekämpfung und unangemessenes Verhalten von Politikern prägten in der vergangenen Woche den Diskurs in den ukrainischen Medien. Auch die Integration von im Krieg physisch und psychisch verletzten Soldaten in die Gesellschaft sowie die Entfernung von sowjetischen Symbolen an der Mutter-Heimat-Statue in Kyjiw wurden diskutiert.
Korruption, Korruptionsbekämpfung – und unangemessenes Verhalten von Politikern
Censor ist der Ansicht, dass der ehemalige stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamtes Kyrylo Tymoschenko eine „beschämende Respektlosigkeit gegenüber der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention (NASK) gezeigt“ habe, als er den Bericht über seine administrativen Verstöße nicht entgegengenommen habe. So etwas sei in der EU und in der NATO nicht möglich, meint Censor. Der NASK zufolge habe Tymoschenko früher seine Befugnisse missbraucht, um eigene Interessen zu verfolgen. Censor erinnert an den Rücktritt von Tymoschenko im Januar 2023, „nachdem Journalisten aufgedeckt hatten, wie das Vermögen des stellvertretenden Präsidialamtsleiters in den letzten drei Jahren fantastisch gewachsen war.“
Hromadske befasst sich mit der wachsenden Anzahl von ukrainischen Parlamentsabgeordneten, die ihre Mandate aufgrund von Korruptionsaffären, im Zusammenhang mit dem Krieg oder aus anderen Gründen niederlegen. Das Medium zitiert Oleksandr Salischenko, Analytiker bei der NGO Tschesno („Ehrlich“), die sich für eine demokratische politischer Kultur einsetzt. Salischenko zufolge werden möglicherweise noch weitere Abgeordnete ihr Mandat niederlegen: im Zusammenhang mit unethischem Verhalten während des Krieges, etwa derzeit verbotenen Luxusurlauben im Ausland. Der von Hromadske ebenfalls zitierte Parlamentsabgeordnete Jaroslaw Schelesnjak von der liberalen Partei Holos („Stimme“) steht den Rücktritten positiv gegenüber. Die Mandate würden am häufigsten von prorussischen Politikern niedergelegt, und die Gesellschaft werde davon nur profitieren.
Liwyj Bereh betont, wie wichtig der Schutz der ukrainischen Demokratie sei. Zu diesem Schutz gehöre auch die Korruptionsbekämpfung. Eine nachhaltige Demokratie könne nicht allein durch eine „Demokratie der Straße“, also aktive Proteste der Bevölkerung, und durch den von internationalen Partnern ausgeübten Druck aufgebaut werden. „Der Staat sollte nicht nur in die Ausbildung investieren, sondern auch entsprechende Bildungsprogramme erarbeiten – sowohl für Kinder als auch für Erwachsene“, so Liwyj Bereh.
Babel publiziert einen Artikel über mutmaßliche Verschwendung öffentlicher Mittel während des Krieges: Der Kyjiwer Bürgermeister Vitali Klitschko und sein Kollege aus Lwiw Andrij Sadowyj würden beschuldigt, Geld aus lokalen Budgets für Bauarbeiten auszugeben, statt die Armee zu unterstützen. Babel schreibt: „Stadt- und Regionalhaushalte haben nicht das Recht, Gelder direkt an die Armee zu überweisen oder Militärgüter – Waffen, Panzer oder Munition – zu kaufen.“ Es gebe aber andere Möglichkeiten, wie örtliche Behörden der Verteidigungsindustrie helfen könnten. „Das Problem liegt darin, dass diese Behörden nicht wissen, welche konkreten Bedürfnisse das Militär hat und wieviel Geld es benötigt“, so Babel. Der stellvertretende Leiter der Kyjiwer Militärverwaltung Mykola Poworozniuk betont: „Es muss einen Dialog geben und keinen Monolog in Form eines Vorwurfs.“
Hromadske geht auf die Bedeutung einer unabhängigen Antikorruptionsstaatsanwaltschaft in der Ukraine ein: „Die erfolgreiche Untersuchung von Korruptionsfällen bei Spitzenbeamten hängt von der Selbständigkeit der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft ab. Deshalb fordern westliche Partner eine stärkere Unabhängigkeit dieser Behörde. Die ukrainische Regierung hat versprochen, dafür zu sorgen, aber zurzeit schiebt sie diesen Prozess noch vor sich her.“
Die Integration von Soldaten
Die Integration von Soldaten, die aus dem Kriegsgeschehen zurückkehren, stellt die ukrainische Gesellschaft vor große Herausforderungen. LIGA veröffentlicht eine Kolumne von Olha Rudnewa, Leiterin der ukrainischen orthopädischen Fachklinik Superhumans Center. Rudnewa schreibt darüber, was ukrainische Bürger bei ihren Gesprächen mit verletzten Soldaten beachten sollten. Die Frage „Was ist passiert?“ solle man besser gar nicht stellen. Dasselbe gelte für Ermutigungen wie „Gute Besserung!“ oder „Mach’s gut!“. „Wenn eine Person es will, kann sie Ihnen sagen, was passiert ist. Menschen, die Gliedmaßen verloren haben, sind nicht krank, und nicht alle Menschen mit Behinderungen sind infolge des Krieges behindert,“ so Rudnewa. Es gelte, den Veteranen zu danken und keinesfalls Geld anzubieten. „Wir werden ein Land voller Menschen mit Behinderungen sein. Aber das wird uns nicht schwächer machen“, schreibt Rudnewa.
Die Zeitung Hromadske weist darauf hin, dass Soldaten, die im Krieg Verletzungen erlitten, später oft auch Probleme in ihrem Sexualleben hätten. Ein im Artikel zitierter ukrainische Soldat sagt: „Vonseiten der staatlichen Institutionen gibt es zurzeit eine eher schwache Initiative zur psychologischen Unterstützung, Reha und Erholung des militärischen Personals. Das Thema Sex wird nicht angesprochen. Unsere Militärs werden mit ihren Problemen oft allein gelassen.“
Entfernung von sowjetischen Symbolen
Die Ukrajinska Prawda geht auf die Entfernung von Hammer und Sichel an der Kyjiwer Mutter-Heimat-Statue ein. Die Zeitung weist darauf hin, dass sich 85 Prozent der Ukrainer für den Ersatz des sowjetischen Wappens durch das ukrainische ausgesprochen haben.
Suspilne geht auf die Entfernung sowjetischer Symbole an der Mutter-Heimat-Statue ein und zitiert den Höheninstallateur Valeriy Muzyka mit den Worten: „Das ist ein historisches Ereignis.“ Das Medium lässt auch Kateryna Lypa, Mitarbeiterin des Museums der Geschichte von Kyjiw, zu Wort kommen, die dagegen gesagt habe: „die Idee, das sowjetische Wappen durch den ukrainischen Dreizack zu ersetzen, ist das Schlechteste, was man sich einfallen lassen kann“. Jurij Sawtschuk, dem Generaldirektor des Nationalen Museums der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg jedoch zufolge, sei der Ersatz des Wappens sehr wichtig und symbolisch: „Die Bedeutung des Ereignisses liegt darin, dass die letzte Markierung der Sowjetzeit damit verschwunden sein wird, sozusagen die letzte Markierung des Sowjetimperiums.“
Gefördert durch:
Ukrainische Medien
Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda veröffentlicht als regierungskritisches Medium investigative Artikel und deckte auch Korruptionsfälle innerhalb der ukrainischen Regierung auf. Sie zählt zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen der Ukraine.
Die Ukrajinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrainisch-georgischen Journalisten Heorhij Gongadse gegründet, der im darauffolgenden Jahr – angeblich auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – ermordet wurde. Die heutige Chefredakteurin ist die bekannte ukrainisch-krimtatarische Journalistin Sevgil Musaieva.
Im Mai 2021 verkaufte die damalige Eigentümerin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrainische Investment-Management-Gesellschaft, die vom tschechischen Unternehmer Tomáš Fiala geleitet wird.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 69,6 Millionen
Das Online-Nachrichtenportal und ‑Fernsehen Hromadske finanziert sich über Crowdfunding bei seinen Leserinnen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien aufgenommene Videos.
Hromadske wurde als NGO mit dazugehörigen Online-Medien im November 2013 mit Beginn des Euromaidan gegründet. Die jetzige Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Jewhenija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Korruption in ukrainischen Strafverfolgungsbehörden befasst hat.
Die Weiterentwicklung von Hromadske wird von einem Vorstand vorangetrieben, der aus sieben prominenten ukrainischen Persönlichkeiten besteht, darunter Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 2,8 Millionen
Der ukrainische Fernsehsender mit Online-Nachrichtenportal, dessen Chefredakteurin die ukrainische Journalistin Chrystyna Hawryljuk ist, wird finanziell von der ukrainischen Regierung unterstützt. In diesem Zusammenhang hat sich die Website einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet.
Das renommierte Institute of Mass Information führte Suspilne.Novyny im September 2021 auf der sogenannten „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuverlässigen Informationen bieten.
Suspilne.Novyny wurde im Dezember 2019 gegründet und gehört zur Nationalen öffentlichen Rundfunkgesellschaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staatliche Rundfunkanstalt entsprechend europäischen Standards in eine öffentliche Rundfunkgesellschaft umgewandelt worden.
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NV ist eine Print- und Online-Zeitschrift, deren Schwerpunkt auf Nachrichten aus dem Ausland und der ukrainischen Politik liegt. Zu den Hauptthemen zählen die internationale Unterstützung der Ukraine, Korruption sowie die künftige Entwicklung des Landes. Die Online-Ausgabe veröffentlich oft Artikel renommierter ausländischer Medien wie The Economist, The New York Times, BBC und Deutsche Welle. Die Zeitschrift erscheint freitags als Druckausgabe auf Ukrainisch, die Website ist auf Ukrainisch, Russisch und Englisch verfügbar. NV gilt als eine der zuverlässigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine.
NV wurde im Jahr 2014 – ursprünglich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrainischen Journalisten Witalij Sytsch gegründet, der die Chefredaktion übernahm. Zuvor arbeitete Sytsch bei dem ebenfalls populären Magazin Korrespondent. Er verließ Korrespondent, nachdem es an Serhij Kurtschenko – einen Janukowytsch nahestehenden Oligarchen aus Charkiw – verkauft worden war. NV gehört zum Verlagshaus Media-DK, dessen Eigentümer der tschechische Unternehmer Tomáš Fiala ist.
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Dserkalo Tyschnja liefert Hintergrundberichte und Analysen; das Themenspektrum umfasst politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen. Die Zeitung betrachtet die ukrainische Politik und deren Akteure in einem internationalen Zusammenhang. Dserkalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die zuverlässige Informationen liefern.
Dserkalo Tyschnja ist eine der ältesten ukrainischen Zeitungen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online verfügbar: auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Chefredakteurin ist die bekannte ukrainische Journalistin Julija Mostowa, Ehefrau des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Anatolij Hrysenko.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 4,7 Millionen
Das ukrainische Online-Magazin Babel wurde im September 2018 gegründet. Das Themenspektrum umfasst soziale und politische Themen; besonderes Augenmerk gilt aber auch Nachrichten aus der Wissenschaft und über neue Technologien.
Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor ebenfalls angebotene russische Version der Website geschlossen. Stattdessen wird nun eine englische Version angeboten. Babel finanziert sich über Spenden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babel engagieren sich in zahlreichen Projekten, die darauf abzielen, die ukrainischen Streitkräfte während des Krieges zu unterstützen.
Die Eigentümer des Online-Magazins sind der erste Chefredakteur Hlib Husjew, Kateryna Kobernyk und das slowakische Unternehmen IG GmbH. Heute ist der ukrainische Journalist Jewhen Spirin, der aus dem besetzten Luhansk stammt, Chefredakteur von Babel.
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Das Online-Magazin Liwyj Bereh gehört zum Horschenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen in der Ukraine und der Welt beschäftigt. Liwyj Bereh hat sich auf Interviews spezialisiert; häufige Themen sind die ukrainische Innen- und internationale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.
Liwyj Bereh wurde im Juni 2009 gegründet, Chefredakteurin Sonja Koschkina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „KishkiNA“, auf dem sie Interviews mit verschiedenen Personen veröffentlicht.
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Im Fokus des ukrainischen im Jahr 2000 gegründeten Online-Nachrichtenportals LIGA stehen wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die stets präzise Informationen und zuverlässige Nachrichten anbieten.
Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Julija Bankowa, die davor eine leitende Position bei dem Online-Magazin Hromadske hatte.
Der Eigentümer des Nachrichtenportals ist die ukrainische unabhängige Mediaholding Ligamedia, deren Geschäftsführer Dmytro Bondarenko ist.
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Censor präsentiert sich als Website mit „emotionalen Nachrichten“. Der Fokus liegt vor allem auf innenpolitischen Entwicklungen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind viele Beiträge den Ereignissen an der Front und den ukrainischen Streitkräften gewidmet. Censor ist auf drei Sprachen verfügbar: Ukrainisch, Russisch und Englisch.
Das Nachrichtenportal Censor wurde 2004 vom bekannten ukrainischen Journalisten Jurij Butusow gegründet und zählt zu den populärsten Nachrichtenseiten des Landes. Butusow gilt als scharfer Kritiker von Präsident Selenskyj. Er erhebt schwere Vorwürfe in Bezug auf Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung, schlechte Vorbereitung auf den Krieg gegen Russland und unbefriedigende Verwaltung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Menschen auf Facebook gelesen. Seine Posts auf dem sozialen Netzwerk haben enormen Einfluss und lösen hitzige Diskussionen aus.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 59 Millionen
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