Presseschau (12. bis 19. Juli 2023)
Das von Russland aufgekündigte Getreideabkommen, der Angriff auf die Krimbrücke und die ukrainische Gegenoffensive waren in den ukrainischen Medien in den vergangenen Tagen zentrale Themen.
Anschlag auf die Krimbrücke
Der prominente Journalist und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments Serhij Rachmanin schreibt in der NV: „Aus militärischer Sicht ist die Explosion eine sehr nützliche Angelegenheit, da sich viele russische Einheiten auf der besetzten Halbinsel befinden. Nachdem sich die ukrainische Offensive im Süden etwas verlangsamt hat, hat die ukrainische Führung absolut richtig gehandelt.“
Andrij Klymenko, Leiter des Instituts für strategische Schwarzmeerstudien, betont in seiner Kolumne in der NV: „Der Angriff auf die Brücke hat Panik auf der Krim ausgelöst. Das wird auch die russische militärische Logistik beeinträchtigen.“ Russland werde nur noch in der Lage sein, 30 Prozent der bisher gelieferten militärischen Ausrüstung auf die Krim zu liefern.
Die Aufkündigung des Getreideabkommens
Die Ukrajinska Prawda schreibt dazu: „Das Getreideabkommen war bisher das einzige internationale Dokument, das zumindest einige Sicherheitsgarantien für Schiffe enthielt. (…) Russische Raketenangriffe auf ausländische Schiffe sind zwar unwahrscheinlich, allerdings könnte der Aggressor die Terminals, an denen Schiffe anlegen, mit Raketen beschießen oder Minenfelder schaffen. (…) Die Seeschifffahrt ist auch ohne russische Beteiligung möglich, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt werden. Dazu gehören die politische Zustimmung der Partnerländer, einschließlich der Türkei, und das Vertrauen der Versicherungsgesellschaften in diese Form von Sicherheitsgarantien.“
Jewgenija Gaber, ukrainische Wissenschaftlerin bei Atlantic Council, meint dazu in der NV: „Russland hat jetzt nicht mehr viele Optionen. Im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres hat Russland keine Möglichkeit, ernsthaften Schaden anzurichten. (…) Wenn die russischen Streitkräfte ein Getreideschiff angreifen, könnte dies eine ernsthafte Reaktion auslösen, der Russland nicht ausgesetzt sein möchte. Es würde mich nicht überraschen, wenn Russland nach einem Treffen oder Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in den nächsten Wochen das Abkommen wieder aufnimmt.“
Der Leiter des Ukrainischen Agrobusiness-Clubs Petro Melnyk schreibt in seiner Kolumne für die NV: „Der russische Rücktritt vom Getreideabkommen ist keine Katastrophe. (…) Die Ukraine ist bereits jetzt in der Lage, monatlich vier Millionen Tonnen Getreide auszuführen. Über Häfen an der Donau, die in den vergangenen Jahren aktiv ausgebaut wurden, können derzeit zwei Millionen Tonnen exportiert werden.“ Die ukrainische Regierung erarbeite bereits Pläne, um Getreide ohne Beteiligung Russlands weiter ausführen zu können. Die russische Erpressung werde höchstwahrscheinlich gestoppt – und die Ausfuhr ukrainischen Getreides fortgesetzt.
Die ukrainische Gegenoffensive
Der bekannte ukrainische Journalist Jurij Butusow spricht im Censor Maßnahmen an, die auf den Schutz vor russischen Lancet-Drohnen abzielen, und verweist auf die Erfahrungen der 59. motorisierten Infanteriebrigade, die während der gesamten russischen Lancet-Angriffe noch kein einziges gepanzertes Fahrzeug verloren habe. Insgesamt hätten die ukrainischen Streitkräfte jedoch schon 300 Exemplare der wertvollsten Ausrüstung infolge russischer Lancet-Angriffe verloren. „Wir müssen moderne Anti-Drohnen-Taktiken entwickeln, die Umsetzung erfolgreicher Praktiken organisieren und die Anti-Drohnen-Systeme verbessern, denn im Bereich der Drohnen und der elektronischen Kriegsführung ändern sich die Technologien fast jeden Monat, wir müssen neue Standards schnell verstehen und umsetzen“, so Butusow.
Andrij Kramarow, ukrainischer Militärexperte und Reserveoffizier, betont in einem Kommentar für NV: „Nach dem Terroranschlag auf den Kachowka-Staudamm wurde ein völlig neues Landschaftsbild geschaffen. Den ukrainischen Streitkräften hat das eine Reihe neuer Möglichkeiten eröffnet.“ Laut Kramarow versuche die ukrainische Armee, russische Logistik weit hinter der Frontlinie zu erreichen und zu zerstören.
Ein langer Artikel in der Ukrajinska Prawda trägt den Titel „Sollte sich die Situation in Bezug auf die unbemannten Luftfahrzeuge (Drohnen, Anm. d. Red.) nicht ändern, werden wir uns in einem Jahr an den Verhandlungstisch setzen müssen.“ Der Artikel geht auf die Rolle von FVP-Drohnen (First Person View-Drohnen), die von beiden Seiten im Osten der Ukraine genutzt werden, näher ein. Die im Text zitierte Marija Berlinska, Leiterin des Zentrums zur Unterstützung der Luftaufklärung, ist besorgt, dass die Ukraine den Krieg verlieren könnte, falls sie zu wenig Drohnen produziert. Nach Schätzungen von Berlinska fehlen den ukrainischen Herstellern heute 10.000 hochwertige FPV-Drohnen pro Monat. Russland erreiche dagegen bereits eine monatliche Produktionsrate von 45.000 bis 50.000 Stück. Berlinska sagt: „Die Seite, die mehr Angriffsdrohnen verschiedener Typen und Klassen hat, wird gewinnen. (…) Panzer, deren Herstellung Monate dauert und Millionen von Dollar kostet, werden von einer Drohne, die ein paar hundert Dollar kostet, in Sekundenschnelle zerstört. Punkt. Deshalb sind Drohnen der Gamechanger in diesem Krieg, sie sind der entscheidende Faktor für den Sieg.“
Lieferung von Luftverteidigungssystemen
Liwyj Bereh schreibt, die deutsche Regierung habe Kyjiw versprochen, acht Luftverteidigungssysteme vom Typ IRIS‑T SLM zu liefern. Für Deutsche sei es zweifellos wichtig, „nun in der Ukraine Leben vor der Diktatur zu retten.“ Jedoch gehe es Berlin nicht nur um historische Schuld oder um Solidarität: Deutschland habe „die einmalige Gelegenheit, seine Waffen als ein einheitliches System zu testen.“ Deutschland könne mit dem Ergebnis zufrieden sein: Mehr als 60 Ziele seien bisher abgeschossen worden, die Effizienz liege bei fast 90 Prozent.
Ukrainische Medien
Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda veröffentlicht als regierungskritisches Medium investigative Artikel und deckte auch Korruptionsfälle innerhalb der ukrainischen Regierung auf. Sie zählt zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen der Ukraine.
Die Ukrajinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrainisch-georgischen Journalisten Heorhij Gongadse gegründet, der im darauffolgenden Jahr – angeblich auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – ermordet wurde. Die heutige Chefredakteurin ist die bekannte ukrainisch-krimtatarische Journalistin Sevgil Musaieva.
Im Mai 2021 verkaufte die damalige Eigentümerin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrainische Investment-Management-Gesellschaft, die vom tschechischen Unternehmer Tomáš Fiala geleitet wird.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 69,6 Millionen
Das Online-Nachrichtenportal und ‑Fernsehen Hromadske finanziert sich über Crowdfunding bei seinen Leserinnen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien aufgenommene Videos.
Hromadske wurde als NGO mit dazugehörigen Online-Medien im November 2013 mit Beginn des Euromaidan gegründet. Die jetzige Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Jewhenija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Korruption in ukrainischen Strafverfolgungsbehörden befasst hat.
Die Weiterentwicklung von Hromadske wird von einem Vorstand vorangetrieben, der aus sieben prominenten ukrainischen Persönlichkeiten besteht, darunter Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 2,8 Millionen
Der ukrainische Fernsehsender mit Online-Nachrichtenportal, dessen Chefredakteurin die ukrainische Journalistin Chrystyna Hawryljuk ist, wird finanziell von der ukrainischen Regierung unterstützt. In diesem Zusammenhang hat sich die Website einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet.
Das renommierte Institute of Mass Information führte Suspilne.Novyny im September 2021 auf der sogenannten „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuverlässigen Informationen bieten.
Suspilne.Novyny wurde im Dezember 2019 gegründet und gehört zur Nationalen öffentlichen Rundfunkgesellschaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staatliche Rundfunkanstalt entsprechend europäischen Standards in eine öffentliche Rundfunkgesellschaft umgewandelt worden.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 7,4 Millionen
NV ist eine Print- und Online-Zeitschrift, deren Schwerpunkt auf Nachrichten aus dem Ausland und der ukrainischen Politik liegt. Zu den Hauptthemen zählen die internationale Unterstützung der Ukraine, Korruption sowie die künftige Entwicklung des Landes. Die Online-Ausgabe veröffentlich oft Artikel renommierter ausländischer Medien wie The Economist, The New York Times, BBC und Deutsche Welle. Die Zeitschrift erscheint freitags als Druckausgabe auf Ukrainisch, die Website ist auf Ukrainisch, Russisch und Englisch verfügbar. NV gilt als eine der zuverlässigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine.
NV wurde im Jahr 2014 – ursprünglich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrainischen Journalisten Witalij Sytsch gegründet, der die Chefredaktion übernahm. Zuvor arbeitete Sytsch bei dem ebenfalls populären Magazin Korrespondent. Er verließ Korrespondent, nachdem es an Serhij Kurtschenko – einen Janukowytsch nahestehenden Oligarchen aus Charkiw – verkauft worden war. NV gehört zum Verlagshaus Media-DK, dessen Eigentümer der tschechische Unternehmer Tomáš Fiala ist.
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Dserkalo Tyschnja liefert Hintergrundberichte und Analysen; das Themenspektrum umfasst politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen. Die Zeitung betrachtet die ukrainische Politik und deren Akteure in einem internationalen Zusammenhang. Dserkalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die zuverlässige Informationen liefern.
Dserkalo Tyschnja ist eine der ältesten ukrainischen Zeitungen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online verfügbar: auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Chefredakteurin ist die bekannte ukrainische Journalistin Julija Mostowa, Ehefrau des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Anatolij Hrysenko.
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Das ukrainische Online-Magazin Babel wurde im September 2018 gegründet. Das Themenspektrum umfasst soziale und politische Themen; besonderes Augenmerk gilt aber auch Nachrichten aus der Wissenschaft und über neue Technologien.
Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor ebenfalls angebotene russische Version der Website geschlossen. Stattdessen wird nun eine englische Version angeboten. Babel finanziert sich über Spenden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babel engagieren sich in zahlreichen Projekten, die darauf abzielen, die ukrainischen Streitkräfte während des Krieges zu unterstützen.
Die Eigentümer des Online-Magazins sind der erste Chefredakteur Hlib Husjew, Kateryna Kobernyk und das slowakische Unternehmen IG GmbH. Heute ist der ukrainische Journalist Jewhen Spirin, der aus dem besetzten Luhansk stammt, Chefredakteur von Babel.
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Das Online-Magazin Liwyj Bereh gehört zum Horschenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen in der Ukraine und der Welt beschäftigt. Liwyj Bereh hat sich auf Interviews spezialisiert; häufige Themen sind die ukrainische Innen- und internationale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.
Liwyj Bereh wurde im Juni 2009 gegründet, Chefredakteurin Sonja Koschkina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „KishkiNA“, auf dem sie Interviews mit verschiedenen Personen veröffentlicht.
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Im Fokus des ukrainischen im Jahr 2000 gegründeten Online-Nachrichtenportals LIGA stehen wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die stets präzise Informationen und zuverlässige Nachrichten anbieten.
Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Julija Bankowa, die davor eine leitende Position bei dem Online-Magazin Hromadske hatte.
Der Eigentümer des Nachrichtenportals ist die ukrainische unabhängige Mediaholding Ligamedia, deren Geschäftsführer Dmytro Bondarenko ist.
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Censor präsentiert sich als Website mit „emotionalen Nachrichten“. Der Fokus liegt vor allem auf innenpolitischen Entwicklungen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind viele Beiträge den Ereignissen an der Front und den ukrainischen Streitkräften gewidmet. Censor ist auf drei Sprachen verfügbar: Ukrainisch, Russisch und Englisch.
Das Nachrichtenportal Censor wurde 2004 vom bekannten ukrainischen Journalisten Jurij Butusow gegründet und zählt zu den populärsten Nachrichtenseiten des Landes. Butusow gilt als scharfer Kritiker von Präsident Selenskyj. Er erhebt schwere Vorwürfe in Bezug auf Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung, schlechte Vorbereitung auf den Krieg gegen Russland und unbefriedigende Verwaltung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Menschen auf Facebook gelesen. Seine Posts auf dem sozialen Netzwerk haben enormen Einfluss und lösen hitzige Diskussionen aus.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 59 Millionen
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