Olha Rudneva: Mana­ge­rin und Mutmacherin

Olha Rudneva
Foto: Face­book Super­hu­mans Center

Olha Rudneva gehört, glaubt man der bri­ti­schen BBC, zu den 100 inspi­rie­rends­ten und ein­fluss­reichs­ten Frauen der Welt. Vor zwei Jahren grün­dete sie in Lwiw das Super­hu­mans Center, ein Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­trum, das kriegs­ver­letzte Men­schen mit Pro­the­sen ver­sorgt. Eröff­net wurde es im April 2023 von Olena Selenska.

Vor dem rus­si­schen Groß­an­griff im Februar 2022 wusste in Kyjiw so gut wie niemand, der sich zivil­ge­sell­schaft­lich enga­gierte, wer Olha Rudneva ist – heute kennt sie fast das ganze Land. Die 47-Jährige aus Donezk hatte 18 Jahre lang die Stif­tung von Olena Pinchuk, der Frau des Groß­un­ter­neh­mers Viktor Pinchuk, gelei­tet und sich dort vor allem der Bekämp­fung von AIDS gewid­met – auf­grund der enormen Erkran­kungs­rate in der Ukraine eine wich­tige Aufgabe. Doch der Über­fall der rus­si­schen Armee ver­än­derte für Rudneva, die an der Natio­na­len Wirt­schafts­uni­ver­si­tät in Kyjiw stu­dierte und später einen Master of Busi­ness Admi­nis­tra­tion in Florida machte, alles.

„Ich arbeite seit fast 20 Jahren im gemein­nüt­zi­gen Bereich. Für mich muss meine Arbeit vor allem einen Sinn haben, sonst fehlt mir der Antrieb“, erklärt sie. Zu wissen, dass sie etwas Wich­ti­ges tue, gebe ihr die Energie wei­ter­zu­ma­chen und jeden Tag noch ein klein wenig mehr zu tun. Der 24. Februar 2022 war für Rudneva, die zwi­schen­zeit­lich auch im ukrai­ni­schen Gesund­heits­mi­nis­te­rium arbei­tete, offen­bar der Moment, an dem selbst die Arbeit bei einer gemein­nüt­zi­gen Stif­tung nicht mehr aus­reichte, um sie mit Sinn zu erfüllen.

Vom rus­si­schen Angriff erfuhr Rudneva auf Madeira, wohin sie geflo­gen war, um ihre Mutter für den Fall eines bevor­ste­hen­den Krieges in Sicher­heit zu bringen. Wenige Tage später war sie bereits im pol­ni­schen Lublin und arbei­tete mehrere Monate lang im Logis­tik­zen­trum Help Ukraine Center mit, das geflüch­te­ten Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­nern huma­ni­täre Hilfe leis­tete. „Ich habe das für mich selbst getan, weil der Schmerz enorm war und nur eine her­aus­for­dernde und unge­wohnte Arbeit mir die Mög­lich­keit gab, über­haupt zu atmen und mich bei etwas Wich­ti­gem ein­zu­brin­gen“, sagt sie.

Doch die wich­tigste Aufgabe in Rud­ne­vas Lauf­bahn stand ihr noch bevor – und sie stif­tete nicht nur Sinn, sondern brachte ihr auch inter­na­tio­nale Aner­ken­nung ein: Als Grün­de­rin des Super­hu­mans Center in Lwiw steht Olha Rudneva in diesem Jahr, genau wie die ukrai­ni­sche Land­wir­tin Olha Ole­fi­renko, auf einer Liste von „100 inspi­rie­ren­den und ein­fluss­rei­chen Frauen“, die die bri­ti­sche Rund­funk­an­stalt BBC Anfang Dezem­ber herausbrachte.

Im April 2023 eröff­nete die ukrai­ni­sche First Lady, Olena Selen­ska, zusam­men mit Gesund­heits­mi­nis­ter Viktor Liashko in Lwiw das Super­hu­mans Center für Pro­the­tik, Reha­bi­li­ta­tion und rekon­struk­tive Chir­ur­gie unter der Leitung von Olha Rudneva. Weniger als ein Jahr war seit der ersten Idee für das Zentrum bis zur prak­ti­schen Umset­zung ver­gan­gen. Tat­säch­lich wurde das Zentrum in nur vier­ein­halb Monaten gebaut, erin­nert sich Rudneva: „Wir hatten es eilig, weil wir wussten, dass Men­schen, die Arme oder Beine ver­lo­ren haben, nicht warten können.“

Mehr als 1.000 kriegs­ver­letz­ten Men­schen konnten die Fach­kräfte des Super­hu­mans Centers bisher helfen. Dabei geht es um Ope­ra­tio­nen und das Anlegen der Pro­the­sen genauso wie um Reha­bi­li­ta­tion. Geschäfts­füh­re­rin Olha Rudneva pflegt ein ganz beson­de­res Ver­hält­nis zu ihren Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. „Ich kenne ihre Schwä­chen und Stärken, ich akzep­tiere sie so wie sie sind“, betont sie. Sie sei sehr froh, mit diesen Men­schen arbei­ten zu können, sie seien für sie wie eine Art „Kinder“.

Dabei hatte Rudneva, als die Idee des Super­hu­mans Centers ent­stand, kei­ner­lei Vor­stel­lung davon, wie Pro­the­sen über­haupt funk­tio­nie­ren – was aber teil­weise auch von Vorteil war. „Ich hatte keine Ste­reo­ty­pen“, sagt sie. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich jemals zuvor Men­schen mit Pro­the­sen gesehen habe. Wahr­schein­lich habe ich sie gesehen, aber nicht beach­tet, weil sie nicht in meinem Fokus standen.“

Für Rudneva ist es ein beson­de­res Gefühl, Men­schen zu beob­ach­ten, die zum ersten Mal sehen, wie eine Pro­these funk­tio­niert. „Die aller­meis­ten betrach­ten ihre [neue] Hand, wenn sie sie [zum ersten Mal] sehen, wie etwas von unglaub­li­chem Wert“, erzählt sie. „Und du beginnst zu begrei­fen, dass du selbst wirk­lich alles hast, um auf­zu­ste­hen, zu gehen, zu rennen, etwas zu greifen, jeman­den zu umarmen oder dich an der Nase zu kratzen.“

Um zum „Super­hu­man“ zu werden, müssen poten­zi­elle Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten auf der Web­seite des Zen­trums, das sich aus­drück­lich nicht als Kran­ken­haus oder Klinik prä­sen­tiert, einen Fra­ge­bo­gen aus­fül­len – selbst oder mit Hilfe einer Person, die Zugriff auf die medi­zi­ni­schen Daten des Antrags­stel­len­den hat. Inner­halb von drei Tagen, so ist es vor­ge­se­hen, meldet sich dann das medi­zi­ni­sche Team und ver­ein­bart ein erstes Gespräch. Leider müssen vor allem Men­schen mit ampu­tier­ten Händen oft länger warten, was momen­tan lan­des­weit ein Problem ist: Es gibt viel weniger Hand­pro­the­sen als benö­tigt – und so warten manche Men­schen ein Jahr lang auf neue „Hände“.

Für Olha Rudneva steht das Super­hu­mans Center vor allem für die ukrai­ni­sche Resi­li­enz. „Resi­li­enz bedeu­tet, jeden Morgen mit Sire­nen­ge­heul auf­zu­wa­chen und weiter für das eigene Land zu kämpfen“, betont sie gegen­über der BBC. Es gehe darum, „Wege zu finden, um mehr zu errei­chen, während man jeden Tag weniger zur Ver­fü­gung hat.“ Mit ihrem Zentrum schafft sie genau das.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

 

 

 

 

 

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