Olena Schuljak: Das Gesicht der Selenskyj-Partei
Olena Schuljak, einst Top-Managerin ukrainischer Bau- und Immobilienfirmen, ist seit fast drei Jahren Vorsitzende von Sluha Narodu, der Partei um Präsident Wolodymyr Selenskyj mit absoluter Mehrheit im Parlament. Sie gehört damit zu den prominentesten Gesichtern im politischen Kyjiw.
Die Geschichte der unabhängigen Ukraine, einer nach wie vor jungen Demokratie, ist gespickt mit ungewöhnlichen politischen Projekten. Doch nie zuvor wurden die innenpolitischen Karten derart stark gemischt wie 2019, als Politikneuling Wolodymyr Selenskyj die Präsidentschaftswahl gewann und unmittelbar nach seiner Amtseinführung im Mai das Parlament auflöste und vorgezogene Neuwahlen anordnete. Dafür wurde die schon früher registrierte Partei Sluha Narodu (deutsch: Diener des Volkes) binnen weniger Monate mit Leben gefüllt. Die Partei, die nach der bekannten Fernsehserie benannt ist, in der Selenskyj – damals noch Schauspieler und nicht Präsident – mitgespielt hatte, errang bei der Abstimmung im Juli die absolute Mehrheit.
Neue Gesichter ins Parlament
Selenskyj erhoffte sich damit vor allem, das Parlament entscheidend zu erneuern und zu verjüngen. Denn es gab eine Voraussetzung, um von der Partei zur Wahl aufgestellt zu werden: Die Kandidierenden durften nie zuvor in einem Parlament gesessen haben. „Das Team wurde nach dem Prinzip zusammengestellt, dass niemand auf der Liste Erfahrung in der Politik haben sollte“, erinnert sich Olena Schuljak. „Wir alle bekamen damals die Chance, das System [von Grund auf] zu verändern.“
Genutzt haben die Abgeordneten diese Chance unterschiedlich. Schuljak wurde nach der Wahl zunächst eine von mehreren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und war ab November 2019 einige Monate lang die offizielle Vertreterin der Regierung im Parlament. Zwei Jahre später übernahm sie den Parteivorsitz.
Eine zersplitterte Fraktion
Doch obwohl mit der Partei Diener des Volkes durchaus kompetente Persönlichkeiten ins Parlament einzogen, schaffte es die Fraktion der Partei in der Werchowna Rada nie, wirklich als geeinte Kraft zu agieren und wahrgenommen zu werden.
Vielmehr bildeten sich Kleingruppen mit völlig unterschiedlichen Interessen – was bei der Eile, mit der die Partei auf die Beine gestellt worden war, nicht sonderlich überrascht. Die absolute Mehrheit von Diener des Volkes im Parlament war deshalb oft eher virtuell als real. Die Parteivorsitzende Schuljak, die in den 90er Jahren Ökonomie und Management im Bauwesen an der Nationalen Verkehrsuniversität in Kyjiw studiert hatte, gehört jedoch zu jenen Abgeordneten der Präsidentenpartei, die in den fünf Jahren seit ihrer Wahl durchaus positiv auffielen.
Spekulationen über die Zukunft der Parteichefin
So ist es kein Zufall, dass Olena Schuljak zu den letzten prominenten Personen um Wolodymyr Selenskyj gehört, die 2019 auf Empfehlung des jungen Reformers Oleksij Hontscharuk für Sluha Narodu nominiert wurden. Hontscharuk selbst wurde zum ersten Ministerpräsidenten unter Selenskyj, konnte sich jedoch kaum beweisen. Bereits sechs Monate nach seiner Ernennung wurde er wieder entlassen. Der letzte Minister aus Hontscharuks damaliger Regierung, Justizminister Denys Maljuska, verlor bei der großen Kabinettsumbildung Anfang September nun ebenfalls seinen Posten.
Immer wieder wird darüber spekuliert, ob Schuljaks Position als Parteivorsitzende infrage steht. Auch ihre Position als Vorsitzende eines wichtigen Parlamentsausschusses, der sich unter anderem mit lokaler Selbstverwaltung, Regionalentwicklung und Stadtplanung beschäftigt, bietet Grund für Spekulationen. Erst vor zwei Wochen behauptete der Oppositionspolitiker Oleksij Hontscharenko, Schuljak solle entlassen werden; Grund dafür sei ihre Nähe zu Oleksandr Kubrakow, dem ehemaligen Vizepremier und Infrastrukturminister. Dieser hatte die Regierung im Mai dieses Jahres verlassen müssen.
Managementerfahrung hilft im politischen Geschäft
Wieviel solche Spekulationen mit der Realität zu tun haben, ist unklar. Zwar haben nicht alle Gesetz- und Reformvorhaben, die Olena Schuljak anstieß, für Begeisterung in der Öffentlichkeit gesorgt. Ende 2022 geriet sie sogar in einen größeren Konflikt mit einem verletzten ukrainischen Soldaten, der einen ihrer Gesetzesentwürfe öffentlich kritisiert hatte.
Doch dass sich die 48-Jährige überhaupt derart lange in führenden Positionen halten konnte, ist tatsächlich bemerkenswert. Es hat vor allem mit ihren beachtlichen Erfahrungen in der Wirtschaft, vor allem in Unternehmen der Bau- und Immobilienbranche, zu tun. Schuljak hat als Top-Managerin bei mehreren großen Firmen gearbeitet. Zwischen 2014 und 2015 hat sie den Aufsichtsrat der Ukrainischen Baugemeinschaft geleitet und sie ist Mitgründerin des Verbandes ukrainischer Unternehmer. Ihre Expertise in diesem Feld hat sie in die Politik mitgenommen.
„Eine Frau, die gut mit den Medien umgehen kann“
„Sie ist eine aktive, erfahrene Managerin, die sowohl gut führen, als auch mit den Medien umgehen kann“, erklärte Ende 2021 eine Quelle aus der Führungsspitze von Diener des Volkes und begründete damit, warum man sich für Schuljak als Parteivorsitzende eingesetzt hatte. „Politischen Gegnern war es unangenehm, live auf Sendung mit ihr zu streiten“, wird ein anderer Gesprächspartner im Online-Magazin LB zitiert. In der Tat gehörte Schuljak zu den Mitgliedern der Präsidentenpartei, die vor dem Großangriff durch Russland im Februar 2022 am häufigsten in den landesweit beliebten politischen Talkshows zu Gast waren.
Im Dezember 2023 wurde Schuljak als Parteivorsitzende im Amt bestätigt. Ihre politische Zukunft hängt davon ab, wie die Parteienlandschaft der Ukraine nach dem Ende des Krieges aussehen wird. Präsident Wolodymyr Selenskyj tendiert dazu, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Ob eine auf den jetzigen Präsidenten zugeschnittene Partei bei Neuwahlen eine Chance hätte, ist unklar. Vermutlich müsste sie reformiert und umbenannt werden. Olena Schuljak aber wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach dem Ende der Kämpfe eine wichtige Rolle in der ukrainischen Politik spielen.
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