Nata­liya Gume­nyuk: Ein jour­na­lis­ti­scher Glücks­fall für die Ukraine

Nataliya Gumenyuk
Foto: wilsoncenter.org

Nata­liya Gume­nyuk ist eine bril­lante Jour­na­lis­tin und war eine der ersten pro­fes­sio­nel­len Aus­lands­be­richt­erstat­te­rin­nen der Ukraine. Sie hat über den Ara­bi­schen Früh­ling berich­tet und später mit Hro­madske das wich­tigste unab­hän­gige Medium des Landes gegrün­det. Heute doku­men­tiert sie in ihrer Heimat rus­si­sche Kriegsverbrechen.

„Es war gar nicht mein Kind­heits­traum, Jour­na­lis­tin zu werden“, sagt die Star-Jour­na­lis­tin Nata­liya Gume­nyuk. Doch dann wurde sie zur Chefin einer inter­na­tio­na­len TV-Redak­tion, berich­tete auf eigene Faust über den Ara­bi­schen Früh­ling und grün­dete Hro­madske mit, das wich­tigste unab­hän­gige Medium der Ukraine. Die Zeit­schrift Focus zählte sie 2019 zu den 100 ein­fluss­reich­ten Frauen des Landes und 2022 zeich­nete die deut­sche ZEIT-Stif­tung sie für ihre Repor­ta­gen aus front­na­hen Gebie­ten mit den Free Media Awards aus.

Geboren wurde die heute 41-Jährige in Biro­bidschan im rus­si­schen Fernen Osten. Erst als Gume­nyuk fünf Jahre alt war, zog ihre Familie in die Ukraine. „Zuerst wollte ich Astro­no­min werden“, erin­nert sie sich. „Dann wollte ich jemand werden, der zur Lösung von Kon­flik­ten beträgt, etwa dem israe­lisch-paläs­ti­nen­si­schen.“ Um in Kyjiw aller­dings Anfang der 2000er Jahre Inter­na­tio­nale Bezie­hun­gen zu stu­die­ren, brauchte man Gume­nyuk zufolge ent­we­der gute Bekannte – oder Geld für Bestechungen.

Jour­na­lis­tik-Studium aus Geldnot

Des­we­gen ent­schied sich Gume­nyuk, an der Kyjiwer Taras-Schewtschenko-Uni­ver­si­tät Jour­na­lis­mus zu stu­die­ren – ein Glücks­fall für die ukrai­ni­sche Medi­en­bran­che, wie sich her­aus­stellte. „Ich fand schließ­lich heraus, dass das doch mein Traum[beruf] ist“, erklärt die preis­ge­krönte Repor­te­rin. „Auch als Jour­na­lis­tin kann ich über das Leben in anderen Ländern erzäh­len – und bin in dieser Rolle außer­dem freier.“ Gume­nyuk ist sich sicher: Hätte sie damals aus­rei­chend Geld gehabt, um Inter­na­tio­nale Bezie­hun­gen zu stu­die­ren, hätte sie am Ende trotz­dem das gemacht, was sie heute beruf­lich tut.

Schon während ihrer Stu­di­en­zeit in Kyjiw – sie hängte in Schwe­den noch ein Mas­ter­stu­dium in Inter­na­tio­na­lem Jour­na­lis­mus an – war Gume­nyuk Chef­re­dak­teu­rin einer unab­hän­gi­gen Zeitung für Stu­die­rende. In die gleiche Zeit fallen ihre Anfänge beim ukrai­ni­schen Fern­se­hen, und zwar bei großen Sendern wie Nowyj Kanal oder Kanal 5, der ent­schei­dend zum Erfolg der Oran­ge­nen Revo­lu­tion 2004 beitrug.

Pro­fes­sio­nelle Aus­lands­be­richt­erstat­tung gefällt nicht allen

Ihr großer Auf­stieg aber begann, als Gume­nyuk 2007 Chefin der inter­na­tio­na­len Redak­tion beim TV-Sender Inter wurde. Ihre Arbeit in dieser Posi­tion fiel immer wieder positiv auf, vor allem ihre Bericht­erstat­tung über den rus­sisch-geor­gi­schen Krieg in Süd­os­se­tien 2008 zog die Auf­merk­sam­keit der Öffent­lich­keit auf sich. Ende 2009 wurde Gume­nyuk jedoch ent­las­sen – aus hei­te­rem Himmel, wie es schien.

Mehr als 70 Mit­ar­bei­tende des Sendes unter­zeich­ne­ten einen Pro­test­brief gegen diese Ent­schei­dung, die genauen Gründen dafür ließen sich dennoch nicht in Erfah­rung bringen. Es liegt zumin­dest nahe, dass der Olig­arch Valerii Kho­rosh­kovs­kyi, dem ein Teil von Inter gehörte und der Wiktor Janu­ko­wytsch nahe­stand – jenem spä­te­ren Prä­si­den­ten, der nach der Maidan-Revo­lu­tion 2013/​2014 nach Russ­land floh –, nicht son­der­lich an unab­hän­gi­ger und russ­land­kri­ti­scher Aus­lands­be­richt­erstat­tung inter­es­siert war.

Ara­bi­scher Früh­ling: auf eigene Kosten in den Nahen Osten

Und so begann eine aben­teu­er­li­che und schwie­rige Zeit in Gume­ny­uks Berufs­le­ben, die mit der wach­sen­den Unter­drü­ckung der Pres­se­frei­heit unter Janu­ko­wytsch zusam­men­fiel. Der war 2010 Prä­si­dent gewor­den, Gume­nyuk erin­nert sich: „2012 erlebte das Janu­ko­wytsch-Regime seinen Höhe­punkt, der ukrai­ni­sche Jour­na­lis­mus war mundtot gemacht worden und nahm seine Rolle über­haupt nicht mehr wahr“. Auch pro­fes­sio­nel­ler Aus­lands­jour­na­lis­mus fand damals so gut wie nicht statt.

Dennoch ent­schied sich Gume­nyuk, als freie Jour­na­lis­tin und auf eigene Kosten in den Nahen Osten zu gehen und über den Ara­bi­schen Früh­ling zu berich­ten – ohne jede Garan­tie, dass Redak­tio­nen ihre Bei­träge kaufen und ver­öf­fent­li­chen würden. „Ich hatte fast kein Geld, [...] aber ich konnte endlich die Art von Repor­ta­gen machen, die ich machen wollte, auch wenn sie vom übli­chen Format abwi­chen“, erzählt die Jour­na­lis­tin, die das Erlebte schließ­lich in dem Buch „Maidan Tahrir. Auf der Suche nach der ver­lo­re­nen Revo­lu­tion“ dokumentierte.

Ori­en­tie­rung an den jour­na­lis­ti­schen Stan­dards der BBC

Nach ihrer Rück­kehr in die Ukraine war Nata­liya Gume­nyuk eine der Initia­to­rin­nen und Mit­grün­de­rin­nen des Senders Hro­madske. Er war als eine Art Antwort auf die Zensur der Janu­ko­wytsch-Zeit gedacht und ging pünkt­lich mit dem Beginn der Maidan-Revo­lu­tion Ende Novem­ber 2013 an den Start. Der Sender, der sich unter anderem durch Spenden finan­zierte und an den jour­na­lis­ti­schen Stan­dards der BBC ori­en­tierte, wurde zum wich­tigs­ten Medium der Revo­lu­tion – sowohl inner­halb als auch außer­halb der Ukraine.

Für aus­län­di­sche Medien wurde Hro­madske zu einer zen­tra­len Quelle, als Russ­land völ­ker­rechts­wid­rig die Halb­in­sel Krim annek­tierte und den Krieg im Osten der Ukraine begann. Gume­nyuk, zwi­schen 2015 und 2019 Lei­te­rin von Hro­madske, inter­es­sierte sich ins­be­son­dere für die Krim. Bis 2019 fuhr sie immer wieder auf die Halb­in­sel und ließ sich von den unter­schied­lichs­ten Men­schen vor Ort das Leben unter rus­si­scher Besat­zung schil­dern. Eine Auswahl ihrer Repor­ta­gen ver­öf­fent­lichte sie 2020 in dem Buch „Die ver­lo­rene Insel“, das auch ins Deut­sche über­setzt wurde.

Die Welt über die Situa­tion in der Ukraine aufklären

Seit dem Groß­an­griff Russ­lands auf die Ukraine im Februar 2022 arbei­tet Nata­liya Gume­nyuk, die flie­ßend Eng­lisch spricht, vor allem für das inter­na­tio­nale Projekt The Recko­ning Project: Ukraine Testi­fies, das rus­si­sche Kriegs­ver­bre­chen in der Ukraine doku­men­tiert. Außer­dem schreibt sie Repor­ta­gen für aus­län­di­sche Medien wie The Washing­ton Post oder DIE ZEIT, um die inter­na­tio­nale Öffent­lich­keit auf die Situa­tion der Men­schen in der Ukraine auf­merk­sam zu machen.

Trotz per­sön­li­cher Betrof­fen­heit legt Gume­nyuk großen Wert darauf, klas­si­sche jour­na­lis­ti­sche Stan­dards ein­zu­hal­ten. „Ich ver­stehe, dass Jour­na­lis­mus patrio­tisch, oppo­si­tio­nell, vor­ein­ge­nom­men und poli­ti­siert sein kann, das ist in allen Ländern so. Und mitten im Krieg ist der Grad [dessen] natür­lich höher“, sagt sie. „[Aber] für mich sind [bei der jour­na­lis­ti­schen Arbeit] die Kri­te­rien der Wahr­heit aus­schlag­ge­bend.“ Genau des­we­gen zollt man Nata­liya Gume­nyuk grenz­über­grei­fend Respekt.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

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