Mariia Ber­linska: Mutter der ukrai­ni­schen Luftaufklärung

Mariia Berlinska
Foto: Face­book von Mariia Berlinska

Mariia Ber­linska zog 2014 frei­wil­lig in den Krieg in den Gebie­ten Luhansk und Donezk und wurde Luft­auf­klä­re­rin. Seither widmet sich die 36-Jährige nur noch einem Thema: dem Einsatz von Drohnen auf dem Schlacht­feld. Sie grün­dete das Zentrum zur Unter­stüt­zung der Luft­auf­klä­rung und sorgte dafür, dass tau­sende Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten den Umgang mit Drohnen erlernten.

Sie gilt als „Mutter der ukrai­ni­schen Luft­auf­klä­rung“ – und tat­säch­lich kennt sich in und außer­halb der Ukraine kaum jemand besser mit Drohnen aus als Mariia Ber­linska. Dabei wollte die 36-Jährige aus Kam­ja­nez-Podilskyj in der west­ukrai­ni­schen Region Chmel­nyz­kyj eigent­lich in die Fuß­stap­fen ihres Vaters Serhii treten, der in ihrer Heimat ein bekann­ter Geschichts- und Lite­ra­tur­leh­rer war. Deshalb stu­dierte sie zunächst Geschichte an der Natio­na­len Uni­ver­si­tät in Kam­ja­nez-Podilskyj und schrieb Artikel für eine Lokal­zei­tung. Während der Maidan-Revo­lu­tion 2013/​2014 gehörte Ber­linska zu einer Gruppe von Akti­vis­tin­nen, die Frauen bei den Demons­tra­tio­nen auf dem Kyjiwer Unab­hän­gig­keits­platz und sämt­li­chen Initia­ti­ven, die damit zusam­men­hin­gen, unterstützten.

Doch berühmt wurde Ber­linska nicht dadurch. Ihre eigent­li­che Geschichte begann im August 2014, als sie ange­sichts zuneh­men­der Kämpfe im Osten der Ukraine dem dama­li­gen Frei­wil­li­gen­ba­tail­lon Ajdar beitrat. Sie wurde zu einem kurzen Lehr­gang für Luft­auf­klä­rung geschickt – in dem die Aus­bil­der aller­dings selbst nicht aus­rei­chend kom­pe­tent waren und zudem mit Drohnen arbei­te­ten, die für reale Kämpfe kom­plett unge­eig­net waren. Ber­linska kämpfte schließ­lich als Sol­da­tin und kam dabei im Herbst 2014 beinahe ums Leben. Die Erfah­run­gen, die sie in dieser Zeit als Luft­auf­klä­re­rin sam­melte, prägten sie derart, dass sie sich fortan ganz dem Thema des Droh­nen­ein­sat­zes im Krieg widmete.

Mit moder­ner Tech­no­lo­gie den Krieg gewinnen

„Drohnen sind der Game Changer dieses Krieges“, sagt Mariia Ber­linska mit Blick auf die umfas­sende rus­si­sche Inva­sion im Februar 2022, „es sind hun­dert­tau­sende bil­li­ger Kampf­droh­nen, die den Sieger in diesem Krieg bestim­men werden.“ Gleich­zei­tig äußert sie immer wieder ihre Sorge darüber, dass auch das rus­si­sche Militär dies­be­züg­lich bedeu­tende Fort­schritte macht und der Ukraine des Öfteren über­le­gen ist.

2014 grün­dete Mariia Ber­linska das Zentrum zur Unter­stüt­zung der Luft­auf­klä­rung, das im Januar 2015 den Betrieb aufnahm. Ihre Moti­va­tion war offen­sicht­lich: Der ukrai­ni­sche Staat war damals weder in der Lage, die eigene Armee mit Drohnen zu ver­sor­gen, noch das nötige Aus­bil­dungs­per­so­nal bereit­zu­stel­len. Eine zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­tive, die Drohnen besorgte und ent­spre­chende Aus­bil­dungs­kurse eta­blierte, war also durch­aus will­kom­men. Die Drohnen wurden vor allem durch Frei­wil­lige, private Spon­so­rin­nen und Spon­so­ren und die Dia­spora finan­ziert; vor zehn Jahren waren dafür – genau wie heute – teil­weise erheb­li­che Summen nötig.

Suche nach Unter­stüt­zung in den USA

Zum Zeit­punkt des rus­si­schen Groß­an­griffs am 24. Februar 2022 befand sich Mariia Ber­linska gerade auf einer Dienst­reise in den USA, wo sie seit 2018 zeit­weise lebte – und zwar aus­ge­recht am Flug­ha­fen in Washing­ton. Also kon­zen­trierte sie sich in den ersten Wochen der umfas­sen­den Inva­sion in erster Linie darauf, US-ame­ri­ka­ni­sche Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker davon zu über­zeu­gen, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern und das Land stärker zu unter­stüt­zen. Zwi­schen Februar und März 2022 traf sie mehr als 50 Abge­ord­nete in den USA.

Sobald klar war, dass die USA schwere Waffen liefern würden, widmete sich Ber­linska wieder ihrem Lebens­thema – der Aus­bil­dung von Luft­auf­klä­rern. „Drohnen sind die Augen des Krieges“, sagt sie. „Der einzige Weg, ihn zu gewin­nen, besteht darin, so viel wie möglich in Tech­no­lo­gie zu inves­tie­ren.“ So könne das Fehlen einer ein­zi­gen Drohne de facto 50 oder gar 100 ver­letzte oder getö­tete Men­schen zur Folge haben.

Kritik am Verteidigungsministerium

Während der inzwi­schen seit mehr als 1.000 Tagen andau­ern­den groß­flä­chi­gen Kämpfe wurden durch Ber­lins­kas Initia­tive mehr als 20.000 Droh­nen­aus­bil­de­rin­nen und ‑aus­bil­der geschult. Maß­geb­lich war dafür ihr Projekt Victory Drones, das inzwi­schen mehr als zehn Aus­bil­dungs­zen­tren an ver­schie­de­nen Orten der Ukraine betreibt und in jedem Monat rund 1.000 Droh­nen­pi­lo­ten aus­bil­det. Dabei pflegt Ber­linska ein enges, aber kom­pli­zier­tes Ver­hält­nis zum Verteidigungsministerium.

Zum einen hätte sie sich eine bessere Koor­di­nie­rung der Droh­nen­pro­duk­tion gewünscht. Zum anderen gehörte sie vor einigen Monaten zu den Autorin­nen eines kri­ti­schen Arti­kels über das Team von Rustem Umierov, der Anfang Sep­tem­ber 2023 Oleksii Rez­ni­kov als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter abge­löst hatte. „Das Cha­os­mi­nis­te­rium Umierovs“ hieß der Text, in dem unter anderem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­bleme mit aus­län­di­schen Part­nern ange­spro­chen wurden.

„Wir müssen klug kämpfen“

„Wir sind an einem Punkt, an dem der Feind die Ent­schei­dung getrof­fen hat, bis zum Ende zu gehen“, sagt Mariia Ber­linska mit Blick auf die aktu­el­len Kriegs­aus­sich­ten. „Und wenn man das mal ganz zynisch mit dem Sport ver­gleicht, dann sind die Russen in der 3., maximal in der 4. Runde, während wir, [was die Abnut­zung angeht,] in der 10. oder 11. sind.“ Ber­linska will deshalb alles in ihrer Macht Ste­hende zu unter­neh­men, damit die Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner diesen Krieg überstehen.

Eine Drohne, die 300 US-Dollar kostet, kann Ber­linska zufolge einen rus­si­schen Panzer im Wert von zwei Mil­lio­nen US-Dollar zer­stö­ren. „Wir müssen ihre Panzer schnel­ler ver­nich­ten und über die Ursa­chen unserer Pro­bleme nach­den­ken statt über deren Folgen“, sagt sie. „Wir haben viel weniger Res­sour­cen. Wir sollten klug kämpfen. Dann werden wir in dieser Schlacht Davids gegen Goliath siegen.“

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

 

 

 

 

 

 

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