Julija Pajewska aka „Taira“: Heldensanitäterin und Albtraum für die russische Propaganda
Von der russischen Propaganda wird die berühmte ukrainische Sanitäterin Julija Pajewska als eine der wichtigsten Vertreterinnen der angeblichen Neonazis in der Ukraine diffamiert. In Wirklichkeit hat Pajewska, die sich Taira nennt, Hunderte von Menschenleben gerettet – und hält sogar Kontakt zu Prinz Harry.
„Die Frau mit dem Spitznamen Bestie“ heißt der Propagandafilm des staatlichen russischen Fernsehsenders NTW, der am 27. März 2022 ausgestrahlt wurde. Kurz zuvor war die bekannte ukrainische Sanitäterin, um die es in dem Film geht, von russischen Truppen festgenommen worden, als sie drei Waisenkinder bei der Evakuierung aus der damals umzingelten Stadt Mariupol durch den sogenannten „grünen Korridor“ begleitete.
Solange es ging, hatte Julija Pajewska Verwundete in Mariupol versorgt – und dabei mit einer Bodycam auch das Eindringen der russischen Invasoren gefilmt. Die Kamera hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte. 2021 hatte der britische Prinz Harry, Begründer der „Invictus Games“, Julija Pajewska die Kamera für eine Dokumentation dieses Veteranen-Sportwettbewerbs geschenkt.
Als Pajewska drei Monate nach ihrer Festnahme aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte, rief Prinz Harry sie nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus persönlich an.
Von der russischen Propaganda verleumdet
Die Story, die der russische Sender NTW in dem erwähnten Propagandafilm erzählt, ist nicht die der tapferen, international bekannten Sanitäterin, die während der Maidan-Revolution 2014 und im darauffolgenden Donbas-Krieg viele Menschenleben rettete. Laut NTW soll die heutige 54-Jährige „eine berühmte Komplizin ukrainischer Neonazis“ und „eigentlich Spionin“ sein und wurde in dem Film mit Adolf Hitler verglichen. Der Film deutet auch einen angeblichen Handel mit den Organen ihrer Patienten an und behauptet, Pajewska habe die Eltern der Kinder, die sie aus Mariupol eskortieren wollte, ermordet.
Von der russischen Propaganda wurde Julija Pajewska – neben den Anführern des Asow-Regiments – zu einer der Hauptfiguren der angeblichen Neonazibewegung in der Ukraine stilisiert. Zu dem besagten Film von NTW kamen weitere Beiträge. Daher war die Empörung in Russland groß, als sie wieder freigelassen wurde. Für die Ukraine hingegen war die Rückkehr der Sanitäterin so bedeutsam, dass Präsident Selenskyj sie in seiner täglichen Abendansprache thematisierte.
Schon als Kind an Medizin interessiert
Die gebürtige Kyjiwerin Pajewska, die eigentlich Designerin ist und deren Großvater im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat, interessierte sich schon als Kind für Medizin und lernte zum Beispiel, Tourniquets anzulegen. Außerdem trieb Pajewska ihr ganzes Leben lang Sport: Aikido, die japanische Kampfkunst. Sie ist Vorsitzende des ukrainischen Aikido-Verbandes und war über 20 Jahre lang Trainerin. Aus Pajewskas Begeisterung für Japan resultiert auch ihr tatsächlicher Spitzname: nicht „Bestie“, sondern „Taira“, wie eine einflussreiche Familie im alten Japan hieß. Diesen Spitznamen benutzt sie auch im Computerspiel World of Warcraft, das sie gern zur Entspannung spielt.
„Taira’s Angels“
Berühmtheit erlangte Pajewska aka Taira im Januar 2014 auf dem Maidan, als es zu größeren gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden kam. Fast alle ihrer praktischen Fähigkeiten als Sanitäterin erlernte sie damals im Zentrum Kyjiws, quasi im Einsatz. Als Pajewska nach den Maidan-Aufständen in den Donbas ging, bildete sich um sie schnell ein Freiwilligenteam zur Evakuierung von Menschen. In Anspielung auf die Fernsehserie „Charlie’s Angels“ nannte sich Pajewskas Team „Taira’s Angels“. Darüber hinaus begann Pajewska, Taktische Medizin (Militärische Notfallmedizin) zu unterrichten. Sie bildete mehr als 8.000 Menschen aus, während ihr Team zeitgleich rund 500 ukrainische Soldaten im Donbas retten konnte.
Zwischen 2018 und 2020 diente Taira offiziell bei der Armee. In dieser Zeit leitete sie die Evakuierungsabteilung eines wichtigen mobilen Krankenhauses in Mariupol. Danach kehrte sie zu ihrer Freiwilligentätigkeit zurück: Vor Beginn der umfassenden russischen Invasion am 24. Februar befand sich der Stützpunkt der „Taira’s Angels“ in einem Dorf östlich von Mariupol, in der Näher der damaligen Frontlinie.
Die Erinnerung an die Gefangenschaft fällt schwer
An die Bedingungen der russischen Gefangenschaft erinnert sich Pajewska nur ungern. Es fällt ihr nicht nur psychisch schwer, sie hat auch Sorge, den anderen ukrainischen Gefangenen zu schaden, die sich noch in Untersuchungshaft in Donezk befinden, dort, wo sie selbst auch inhaftiert war. Dass diese Zeit extrem hart war, verrät sie allerdings. „Mir wurde gleich gesagt, dass ich nicht überleben werde und dass für mich Selbstmord die beste Option sei“, erzählt Pajewska. „Natürlich wäre mein Selbstmord für sie sehr bequem gewesen. Diese Gelegenheit habe ich den Russen aber nicht gegeben.“
Und was hält Pajewska von ihrem durch die russische Propaganda konstruierten Image? „In Wirklichkeit sind sie selbst Nazis. Denn sie glauben, dass sich die ganze Welt ihrem großen Imperium unterwerfen sollte. Sie beschuldigen mich dessen, was sie selbst tun.“
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