Frontliner-Geschichten: Vom Krieg und seinen Menschen – von Ukrainern erzählt
In Kriegszeiten gibt es viele Menschen, die sich als Kriegsberichterstatter bezeichnen: Die Frontlinie zieht ebenso viele Abenteurer an wie Soldaten, humanitäre Helfer und Journalisten. In diesem Zusammenhang kann es schwierig sein, vertrauenswürdige Informationsquellen zu finden. In den letzten Jahren aber haben einige ukrainische Initiativen die Nachrichten von der Frontlinie in den Vordergrund gerückt, nicht nur für die Ukrainer, sondern für die ganze Welt: Es sind jene Reporter, die als Frontliner arbeiten, unter der Leitung des ukrainischen Fotografen Andriy Dubchak.
Wenn Sie sich für die Nachrichten aus der Ukraine interessieren, sind Sie wahrscheinlich schon auf seine Bilder und die anderer Frontliner-Fotografen gestoßen, und vielleicht kennen Sie Frontliner bereits aus den sozialen Medien oder von ihrer Website.
Nach dem Maidan: eine neue Vision für die Kriegsberichterstattung
Weit weg von der Front, in der relativen Normalität von Kyjiw treffen wir Gründer Andriy Dubchak und Geschäftsführerin Yelizaveta Kovtun. Dubchak ist gerade aus Kurakhove zurückgekehrt, das im Zentrum der Kämpfe in der Region Donezk liegt.
Der aus Winnyzja stammende Dubchak gründete die Multimedia-Plattform, die sich der ukrainischen Kriegsberichterstattung widmet, nach einer langen Karriere bei Radio Free Europe. Dort war er in den Anfängen der sozialen Medien für alle digitalen Angelegenheiten zuständig. Er begann, sich für die Entwicklung einer eigenen Berichterstattung zu interessieren und war der erste Streamer der Maidan-Revolution im November 2013. Das war der Zeitpunkt, an dem sich ein Wandel vollzog; Andriy erinnert sich an die tödlichsten Tage der Revolution: „Ich war Zeuge der dunkelsten Tage der Revolution der Würde, als Scharfschützen im Februar 2014 in die Menge schossen. Im Anschluss daran ging ich in die Leichenhallen und sah, wie sich Mütter schreiend und weinend über die Leichen ihrer Kinder beugten. In dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal den Spruch ‚Helden sterben nie‘. Doch natürlich tun sie das, sie sterben. Ich hasse diesen Spruch seither.“
Im Jahr 2015 ging Andriy Dubchak zum ersten Mal als Fotograf an die Front: „Mir wurde klar, dass wir für solche Herausforderungen nicht bereit sind: Das Auto war in einem schlechten Zustand, wir hatten kein Satellitentelefon, kein Internet ... solche Fehler können an der Front das Leben kosten. Nach diesem ersten Erlebnis fasste ich die Idee, zukünftige solcher Einsätze mit erstklassiger Ausrüstung vorzubereiten.“
In den nächsten Jahren suchte Dubсhak zusammen mit seiner Arbeits- und Lebensgefährtin Yelizaveta Kovtun nach einer Finanzierung. Schließlich stellte die Renaissance Foundation und das Crowdfunding ihnen genügend Mittel bereit, um Frontliner zu gründen. Sein Bruder stellte ein altes Auto zur Verfügung und mit einer besseren Ausstattung begann Andriy 2021 regelmäßig von der Front zu berichten. Seine Nähe zu verschiedenen Brigaden verschaffte ihm einen Zugang, den andere Redaktionen nicht bekommen konnten; Nachrichtenagenturen wie Associated Press und Reuters begannen, seine Arbeiten zu veröffentlichen, ebenso wie die New York Times, für die er als Fixer arbeitete, bevor er Produzent und Fotograf wurde.
Berichterstattung trotz Angst und erlebtem Schrecken
Als die Vollinvasion begann, gestand Dubchak, dass er dachte, Kyjiw würde fallen. Dennoch war sein erster Schritt, Kaffee und Zigaretten vorzubereiten: „Ich wusste, dass viel los sein würde und dass es viel zu tun geben würde.“ In dieser Zeit expandierte Frontliner, arbeitete mit bis zu 15 Korrespondenten, die aus dem ganzen Land berichteten und erhöhte die Anzahl der Berichte. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die letzten zweieinhalb Jahre für die Ukrainer einem Wirbelsturm glichen – das trifft in besonderer Weise für diejenigen zu, die regelmäßig in Kampfgebieten arbeiten.
Dubchak, der sich im Laufe der Jahre zu einem der angesehensten Kriegsfotografen des Landes entwickelt hat, erinnert sich an einige entscheidende Momente:
„Es gibt glückliche Momente, wie die Befreiung von Cherson, ältere Frauen, die vor Glück und Erleichterung weinen, ukrainische Soldaten, die mit ihnen weinen... Es gibt viele solcher Momente. Und dann gibt es andere, die schrecklich sind und die ich nie vergessen werde. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Mörserangriff in Irpin, bei dem eine ganze Familie ums Leben kam. Ich erinnere mich deutlich an den Jungen, dem das Blut aus dem Mund lief, während sich sein Gesicht langsam gelblich färbte. Zwei Tage später musste ich an dieselbe Stelle zurückkehren. Unterwegs kroch die Angst in mir hoch, aber, um sie zu überwinden und nicht doch noch umzukehren, begann ich zu scherzen. Ich wusste, dass ich sonst nicht in der Lage sein würde, zu berichten. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment. Aber wir Journalisten sind wie Mediziner, wir müssen uns daran erinnern, wofür wir das tun. Wenn man erst einmal Hunderte von Toten gesehen hat, deformiert einen das. Es ist eine Art professionelle Deformierung – man gewöhnt sich daran, weil man weiß, dass man filmen, die Geschichte erzählen und abliefern muss.“
In Bachmut unter Beschuss geraten
Die Arbeit für Frontliner liegt in der Familie: Im Jahr 2022, im Alter von 18 Jahren, erklärte Danylo Dubchak, der Sohn von Andriy, dass auch er Fotograf werden wolle. Trotz seiner Jugend bemüht er sich, über einige entscheidende Momente des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zu berichten – einem Land, das er stets nur als unabhängiges Land erlebt hat. In Kyjiw arbeitete er nach der Bombardierung des Ochmatdyt-Kinderkrankenhauses vor Ort und er dokumentiert regelmäßig Beerdigungen von gefallenen Soldaten.
Als Danylo an die Front gehen wollte, hielt Andriy Dubchak es für sicherer, seinen Sohn zu einem seiner eigenen Einsätze mitzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt wurden Vater und Sohn, die hier über den Krieg berichten wollten, von russischer Streumunition getroffen. Andriy erinnert sich: „Ich bin zum Auto zurückgegangen, um weitere Batterien zu holen, als der Beschuss begann. Zum ersten Mal hörte ich Streumunition aus so kurzer Entfernung. Alles, woran ich denken konnte, war mein Sohn, während ich unter den Bomben auf ihn zulief.“
Wie durch ein Wunder überlebten beide den Angriff, wobei Andriy eine leichte Beinverletzung erlitt. Ihr Auto hatte drei Reifen verloren, aber sie schafften es sicher zurück, sagt Andriy und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Deshalb arbeite ich nicht gerne mit der Familie.“
Andererseits ist diese Verbindung auch Teil von Frontliner: Andriy und Yelizaveta bauen trotz des Krieges eine Familie auf. Und genau das ist irgendwie auch Teil dessen, was sie der Welt durch ihre Berichte zeigen wollen – jenseits der Allgegenwart des Todes: den Hoffnungsschimmer und die Menschlichkeit, die sich ihrer Meinung nach in jedem Aspekt dieses Krieges finden lässt.
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