Yevheniia Zakrevska: Zwischen Maidan, Gerichtssaal und Schlachtfeld

Yevheniia Zakrevska gehört zu den besten Anwältinnen der Ukraine. Seit Jahren vertritt sie Menschen vor Gericht, deren Verwandte während der Maidan-Revolution getötet wurden. Im Februar 2022 meldete sie sich freiwillig bei der Armee und kämpft seither als Soldatin. Um ihre Verfahren kümmert sie sich im Fronturlaub.
Sie ist eine prominente Persönlichkeit der ukrainischen Zivilgesellschaft und eine der bekanntesten Juristinnen des Landes: die in Moskau geborene und im ostukrainischen Poltawa aufgewachsene Yevheniia Zakrevska. Als Vorsitzende des Advocacy Advisory Panel – einer Vereinigung von Anwältinnen und Anwälten, die Menschen verteidigt, deren Rechte während der Maidan-Revolution 2013/2014 verletzt wurden – hat sie bereits mehr als einhundert Personen vor Gericht vertreten. Zudem setzte sie sich seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim für Aktivistinnen und Aktivisten ein, die dort inhaftiert wurden, und dokumentierte Verbrechen in den besetzten Gebieten der Ostukraine.
Zeit für juristische Arbeit nur noch im Fronturlaub
Unmittelbar nach dem russischen Großangriff am 24. Februar 2022 meldete sich die Juristin für den Dienst in der Armee und diente zunächst in der 112. Brigade der Territorialverteidigung. „Das ist, was ich im Moment für das Wichtigste halte – ganz allgemein und für mich selbst. Hier bin ich jetzt am nützlichsten“, schrieb sie damals auf Facebook. Später wechselte Zakrevska in die 92. Sturmbrigade, in der sie als Luftaufklärerin und Schützin dient.
Sobald sie Fronturlaub bekommt, kehrt sie zu ihrer Tätigkeit als Anwältin zurück und verliert ihre Verfahren nicht aus dem Auge. „Ich kann nicht sagen, dass [der Wechsel vom zivilen Leben in die Armee] mir schwerfiel. Ich war gut genug vorbereitet“, betont Zakrevska. Schon seit 2014 hatte sie an diversen militärischen Schulungen teilgenommen. Und spätestens seit Herbst 2021 war sie davon ausgegangen, vermutlich eines Tages kämpfen zu müssen. Aus diesem Grund trainierte sie in den Monaten vor dem russischen Großangriff regelmäßig bei der Territorialverteidigung, der sie am 24. Februar 2022 beitrat.
Über Umwege zur Menschenrechtsarbeit
Yehveniia Zakrevska ist zwar in Moskau geboren, aber ihre Eltern stammen aus der Ukraine: ihre Mutter aus dem zentralukrainischen Winnyzja, ihr Vater aus dem ostukrainischen Poltawa. Die beiden lernten sich in der russischen Hauptstadt kennen, als sie an der Moskauer Universität für Luft- und Raumfahrt studierten, um Ingenieure zu werden. Später kehrten sie nach Poltawa zurück, wo Zakrevska aufwuchs. Eigentlich hatte sie vor, in Charkiw wie ihre Eltern an der Universität für Luft- und Raumfahrt zu studieren – ihre Mutter überzeugte sie jedoch davon, auf Rechtswissenschaften umzuschwenken. Also schrieb sich Zakrevska an der Charkiwer Universität für Innere Angelegenheiten ein.
2008 begann sie, als Anwältin zu arbeiten und widmete sich zunächst dem Handels- und Gesellschaftsrecht sowie urheberrechtlichen Problemen. Schon früh begann Zakrevska jedoch, sich für Menschenrechtsfragen zu interessieren – etwa zur gleichen Zeit, als Wiktor Janukowytsch Präsident wurde. Infolge der Maidan-Revolution erklärte das Parlament Janukowytsch für abgesetzt und er floh nach Russland. Zakrevska hatte sich während seiner Amtszeit häufig darüber geärgert, dass friedliche Demonstrationen untersagt wurden.
„Das Recht auf friedlichen Protest ist sehr wichtig“, findet sie. „Es ist ein wichtiger Kommunikationskanal zwischen der Gesellschaft und der Staatsmacht.“
Gewalt auf dem Maidan prägt die Arbeit der Anwältin
Was Zakrevska 2013/2014 auf dem Kyjiwer Unabhängigkeitsplatz erlebte, hat ihre spätere Arbeit stark beeinflusst. Sie war dabei, als die Spezialeinheit Berkut am 30. November 2013 friedliche Proteste von Studierenden mit massiver Gewalt auflöste. „Der Maidan war umzingelt, niemand wurde mehr dorthin gelassen“, erinnert sie sich. Sie sah, wie die Polizei auf die Köpfe der Protestierenden einschlug, sah das Blut auf der zentralen Straße in Kyjiw, dem Chreschtschatyk.
„Vor mir wurde ein Mädchen buchstäblich über den Asphalt geschleift“, erzählt Zakrevska. „Wir versuchten, die Demonstrierenden von den Spezialtruppen fernzuhalten. In dieser Nacht verletzten die Berkut-Leute mit ihren Händen, Füßen und Schlagstöcken Freunde von mir schwer.“
Diese Freunde waren die Ersten, deren Interessen Zakrevska in den Maidan-Verfahren verteidigte. Später kamen die Verwandten der mehr als einhundert Menschen dazu, die Opfer der willkürlichen Polizeigewalt wurden.
Außerdem arbeitete Zakrevska auf der besetzten Krim und verteidigte unter anderem den bekannten Regisseur Oleh Senzow, der heute ebenfalls in der Armee dient, sowie mehrere prominente Krimtataren vor Gericht. Doch seit 2016 verwehrt ihr die russische Besatzungsmacht die Einreise auf die Halbinsel. Sowohl in Bezug auf die Krim als auch auf die besetzten Gebiete in der Ostukraine war der Anwältin vor allem wichtig, das Vorgehen der Besatzungsbehörden juristisch zu dokumentieren, um deren Verbrechen später bei eventuellen Verfahren vor internationalen Institutionen belegen zu können.
Keine Angst vor unpopulären Äußerungen
Seit 2022 haben sich Zakrevskas Prioritäten allerdings verschoben. Ganz oben steht jetzt ganz klar der Dienst in der Armee. Unmittelbar nach dem russischen Großangriff verstärkte Zakrevska die Verteidigung der ukrainischen Hauptstadt, später kämpfte sie vor allem in der Region Charkiw. In ihrer Einheit genießt sie einen ausgezeichneten Ruf.
Nach drei Jahren als Soldatin scheut sich Zakrevska in der momentan mehr als ernsten Lage nicht davor, Positionen zu vertreten, die nicht in allen Teilen der ukrainischen Gesellschaft Anklang finden. „Es ist längst überfällig, die Generalmobilmachung auch unter Frauen auszurufen“, erklärte sie beispielsweise im November 2024. Dies würde die Personalprobleme der ukrainischen Streitkräfte zwar nicht vollständig lösen, aber ohne das ginge es auf keinen Fall.
„Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind für den Krieg geboren“, glaubt die Anwältin. Und sie ist überzeugt: „Es hängt von uns ab, ob auch unsere Kinder für den Krieg geboren werden. [Wir stehen vor] einer ganz einfachen Wahl: Besatzung, Auswanderung oder Widerstand.“ Zakrevska wählte den Widerstand – und genau das zeichnet sie aus.
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