Witalij Kim: Optimist inmitten der Katastrophe
Der Gouverneur der südukrainischen Region Mykolajiw, Witalij Kim, hat zu Kriegsbeginn mit seinem ausgesprochenen Optimismus weit über die Grenzen seiner Region hinaus Zuversicht ausgestrahlt. Der 42-Jährige ist nicht nur eine Art Politsuperstar, dem die Menschen vertrauen. Er gehört auch zu den Personen, die eine ukrainische Nachkriegspolitik mitprägen könnten.
Im südukrainischen Mykolajiw, das von den russischen Streitkräften als Türöffner für den Vorstoß nach Odesa gesehen wurde, kam es am 29. März 2022 zur bislang größten Tragödie in Russlands Angriffskrieg: Das Gebäude der Regionalverwaltung wurde von einem russischen Marschflugkörper fast vollständig zerstört. Ein gigantisches Loch klaffte inmitten der mehrstöckigen Hausfassade, die Bilder der Zerstörung gingen um die Welt. Im Gebäude starben 37 Menschen.
Der Marschflugkörper war offensichtlich recht genau auf das Büro des Gouverneurs der Region, Witalij Kim, ausgerichtet – jenes ehemaligen Unternehmers, der in diesen ersten Kriegswochen in der Ukraine zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufstieg. Der heute 42-jährige Kim war an jenem Morgen nicht im Büro und überlebte.
Mobile Botschaften der Zuversicht – inmitten der Katastrophe
Es liegt nahe, dass Russland nicht nur die Verwaltung der für Moskau wichtigen Region zerstören, sondern Kim töten wollte. Denn der Mykolajiwer Gouverneur war zu jenem Zeitpunkt bereits zu einer Art Politsuperstar und einem Symbol des ukrainischen Widerstandes avanciert. Während die Region täglich von Russland angegriffen wurde, begann er jede seiner regelmäßigen Videobotschaften im Nachrichtendienst Telegram mit einem Lächeln und dem Satz „Dobroho wetschora, my s Ukrajiny“ („Guten Abend, wir sind aus der Ukraine“) – angelehnt an den bekannten Song des Duos ProBass and Hardi.
Vor dem russischen Angriff wurde Kims Sinn für Humor von Regionalmedien oft kritisiert. Einige Scherze, etwa während der Pressekonferenzen, wurden als unangebracht wahrgenommen. Doch im Schicksalsmoment strahlte der Sohn eines bekannten sowjetischen Basketballtrainers mit koreanischen Wurzeln dermaßen Zuversicht aus, dass es Ukrainerinnen und Ukrainer weit über seine Region hinaus erreichte.
Kims Telegram-Kanal verzeichnet heute mehr als 500.000 Follower. Der Account selbst war erst am Morgen des 24. Februar 2022 von Kims Kommunikationsberaterin erstellt worden, als die Russen begannen, den Militärflugplatz zu beschießen. Plötzlich brauchte man einen Kommunikationskanal, um die Menschen schnell zu informieren – und das funktionierte sehr gut. Doch wer verbirgt sich hinter der Fassade des scheinbar immer gut gelaunten Mykolajiwer Gouverneurs?
Vom gut vernetzten Unternehmer zum Regionalpolitiker
Witalij Kim stammt aus Mykolajiw und ging gemeinsam mit Dawyd Arachamija, Fraktionschef der Partei Diener des Volkes und engster Vertrauter von Wolodymyr Selenskyj, zur Schule. Dieser Umstand wird im Laufe der späteren Karriere des 42-Jährigen eine bedeutende Rolle spielen. In seiner Heimatstadt studierte er BWL – und stieg bald nach dem Studium ins unternehmerische Geschäft ein. Kims Schwerpunkt lag in der Baubranche, doch er probierte vieles aus – bis hin zur Herausgabe von Zeitschriften. Zunächst war Kim erfolgreich: Das erste Landstück, das er zusammen mit seinem Vater kaufte, war ausgesprochen billig – das Geschäft lief gut. Doch was dann folgte, war eine emotionale Achterbahnfahrt.
Bis zu seinem 30. Lebensjahr musste Witalij Kim gleich zweimal Insolvenz anmelden, was er für seinen Lebensweg als besonders prägend beschreibt. Die Erfahrung habe seinen Kampfgeist und Optimismus gefördert. „Wenn man einmal oben angekommen ist, erinnert man sich, wie gut es dort war, und möchte wieder dorthin zurückkehren“, sagte er gegenüber der ukrainischen Ausgabe des Magazins Forbes. Das ist ihm gelungen: Die von Kim gegründete Baufirma ist nicht nur in Mykolajiw, sondern in weiten Teilen der südöstlichen Ukraine aktiv.
Ernennung zum Gouverneur durch Selenskyj
Zwar stieg Kim nach Selenskyjs Wahlerfolg bei den damaligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht zuletzt dank der Arachamija-Verbindung schnell zum regionalen Stabschef der Partei Diener des Volkes auf. Ernsthafte Amtsambitionen hatte er nach diesem ersten politischen Erfolg jedoch nicht. Er wollte weder Bürgermeister noch Gouverneur werden.
Während eines Kyjiw-Aufenthalts im November 2020, mehr als ein Jahr später also, meldete sich Arachamija und bat Kim, im Präsidialamt in der Bankowa-Straße vorbeizuschauen. Daraus wurde ein Vorstellungsgespräch bei Selenskyj. Zwei Tage später wurde das Dekret über Kims Ernennung zum Gouverneur der Region Mykolajiw unterschrieben. Die Nachricht wurde in Mykolajiw positiv aufgenommen. Vor allem die lokalen Unternehmer kannten und schätzten ihn bereits. Sein Einsatz für den Mykolajiwer Agrarsektor wurde auch nach seinem Amtsantritt sehr positiv bewertet.
Auf Rang zwei der Vertrauensskala: Kapital für die Zukunft
Ein gutes Jahr nach Witalij Kims Amtsantritt als Gouverneur von Mykolajiw begann der große Krieg – und plötzlich standen völlig andere Aufgaben an erster Stelle. Was Kim nach Ende des Krieges zuerst tun wird? „Erstmal einen guten Schluck trinken – und danach werden wir alle hart arbeiten“, sagte er im März 2022 im Forbes-Interview. In welcher Funktion und an welchem Ort er hart arbeiten wird, ließ er dabei offen.
Laut einer im Januar 2024 durchgeführten Umfrage des renommierten Rasumkow-Zentrums steht Kim auf Rang zwei jener Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, denen die Ukrainer am meisten Vertrauen entgegenbringen. Während dem Präsidenten Selenskyj 69 Prozent vertrauen, kommt der Mykolajiwer Gouverneur Kim auf 58 Prozent. Das ist ein gutes Kapital für den Einstieg in die nationale Politik – in einer fernen, kriegsfreien Zukunft.
Gefördert durch:
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.