Andrij Sybiha: Außenminister mit gutem Draht in die Türkei
Dass bei der großen Kabinettsumbildung Anfang September auch der beliebte Außenminister Dmytro Kuleba ausgetauscht wurde, hat viele überrascht. Einen besseren Nachfolger als Andrij Sybiha jedoch gibt es kaum: Der 49-Jährige gilt als einer der besten Diplomaten des Landes. Er pflegt gute Kontakte sowohl nach Berlin und Washington als auch nach Peking und Ankara.
Besonders im Ausland war das Erstaunen groß, als Anfang September nach mehreren anderen Ministern auch Dmytro Kuleba seinen Posten räumte. Schließlich war der ehemalige Außenminister in der Ukraine und international gleichermaßen beliebt.
Im politischen Kyjiw aber hatten bereits vor einem Jahr entsprechende Gerüchte die Runde gemacht – und spätestens seit dem Frühjahr stand fest, dass Kuleba früher oder später würde gehen müssen. Dabei stand nicht primär Kulebas Arbeit in der Kritik, und es ist zu erwarten, dass er nach einer Pause einen anderen diplomatischen Posten, etwa in Brüssel, übernimmt. Allerdings war Präsident Wolodymyr Selenskyj offenbar der Meinung, Kuleba sei amtsmüde, ihm fehlten die nötige Energie und neue Ideen. Hinzu kam die schwierige Personalsituation in den Botschaften und Konsulaten, die sich unter Kuleba kaum besserte.
Diplomat mit langjähriger Erfahrung
Mit der Arbeit der ukrainischen Konsulate kennt sich Kulebas Nachfolger, der aus der westukrainischen Region Ternopil stammende Karrierediplomat Andrij Sybiha, bestens aus, denn von 2012 bis 2016 leitete er die Konsularabteilung des Außenministeriums. Als Sybiha im April 2024 vom stellvertretenden Leiter des Präsidialamtes – wo er vor allem für internationale Beziehungen verantwortlich war – zum stellvertretenden Außenminister wurde, ging es intern vor allem darum, Sybihas Erfahrung und Kompetenz in Konsulatsfragen zu nutzen. Doch schon damals wurde vermutet, er könne Kuleba bald als Minister ersetzen.
Sybiha, ein klassischer Diplomat, tickt zwar anders als Kuleba – charmante Scherze und schlagfertige Sprüche sind von ihm eher nicht zu erwarten. Dass sich die Außenpolitik jenseits solcher Details unter ihm jedoch grundlegend ändert, ist unwahrscheinlich. Denn die Ukraine ist eine semipräsidentielle Republik; Außen- und Verteidigungspolitik sind laut Verfassung Kernkompetenzen des Präsidenten.
Der Chefdiplomat des Landes also heißt Wolodymyr Selenskyj, und in vielen wichtigen Fragen – etwa während der Friedenskonferenz in der Schweiz im Juni – spielt das Präsidialamt ohnehin eine größere Rolle als das Außenministerium. Dass mit Sybiha nun jemand dessen Leitung übernimmt, der 2021 extra aus dem Diplomatendienst geholt wurde, um die internationale Ausrichtung des Präsidialamtes zu verstärken, ist im Kern folgerichtig.
Ein guter Draht nach Warschau und Ankara
Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Sybiha, laut Beobachtern „einer der stärksten ukrainischen Diplomaten“, für die neue Aufgabe bestens geeignet scheint. Der 49-Jährige, der neben Englisch fließend Polnisch spricht und das erste symbolische Telefonat mit seinem Warschauer Amtskollegen Radosław Sikorski führte, arbeitete bereits 1997 zum ersten Mal im Außenministerium und war später insgesamt acht Jahre lang bei der ukrainischen Botschaft in Polen tätig.
Der bisherige Höhepunkt von Sybihas diplomatischer Karriere jedoch war seine Zeit als Botschafter in der Türkei von 2016 bis 2021. Gerade die Erfolge in Ankara sollen Selenskyj veranlasst haben, ihn von dort aus in die Präsidialverwaltung zu holen.
Erfolge als Botschafter in der Türkei
Die Ukraine habe in der Amtszeit von Sybiha als Botschafter eine strategische Partnerschaft mit der Türkei aufgebaut, obwohl Ankara ähnliche Beziehungen zu Russland pflegt, erläutert der Politologe Wolodymyr Fessenko, Direktor des Zentrums für politische Studien Penta. „Das kann man als Erfolg betrachten, denn die Türkei ist ein äußerst kompliziertes Land“, sagt er. „Wir haben Bayraktar[-Drohnen] erhalten, haben viele gemeinsame Projekte [umgesetzt] und ein Freihandelsabkommen unterzeichnet.“
Auch der Politologe Oleksij Haran, Professor an der Kyjiwer-Mohyla-Akademie, der anders als Fessenko in der Regel eher skeptisch auf die Regierung um Selenskyj blickt, schätzt Sybiha positiv ein: „Ich habe viel Gutes über ihn gehört, nicht nur in beruflicher, sondern auch in menschlicher Hinsicht“, so Haran.
Zu den Erfolgen Sybihas als Botschafter in der Türkei gehören unter anderem Projekte zur Modernisierung türkischer Hubschrauber durch die Ukraine, aber auch die Tatsache, dass sich die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder regelmäßig in einem eigenen Format getroffen und ausgetauscht haben.
An der Seite von Präsident Selenskyj
Als Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 großflächig angriff, war Außenminister Dmytro Kuleba gerade auf dem Rückweg von einer Dienstreise in die USA. So wurde Sybiha zu Kriegsbeginn de facto zum wichtigsten Diplomaten an der Seite von Selenskyj und war bereits vor seinem erneuten Wechsel ins Außenministerium im Frühjahr dieses Jahres aufs Engste in die außenpolitische Planung des ukrainischen Präsidenten involviert.
Zur Regierung von US-Präsident Joe Biden, aber auch zum deutschen Kanzleramt pflegt Sybiha gute Beziehungen. Gleichzeitig hält er engen Kontakt zu den Ländern des sogenannten Globalen Südens, unter anderem zu China und Indien, was ein weiterer Grund für seine Ernennung gewesen sein könnte.
Sybihas erster Besuch galt den Soldaten an der Front
Seine erste Dienstreise absolvierte der neue Außenminister allerdings nicht ins Ausland, sondern fuhr stattdessen in die Grenzregion Sumy und besuchte ukrainische Soldaten, die an der Militäroffensive in der russischen Region Kursk beteiligt sind. „Das ist ein bewusstes Signal an die internationale Gemeinschaft“, schrieb Sybiha auf Facebook. „Im Zentrum der Außenpolitik der Ukraine stehen ihre Verteidiger. Und deshalb zielt die gesamte Arbeit der Diplomaten darauf ab, sie zu stärken, Waffen zu beschaffen und ihre Schlagkraft zu erhöhen. [...] Ohne eine starke Armee wird es keine starke Diplomatie geben und umgekehrt.“
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