Wie steht es um die Anti­kor­rup­ti­ons­maß­nah­men in der Ukraine?

© Roberto Maldeno, Meschy­hirja, CC BY-NC-ND 2.0

Lau­fende Ermitt­lun­gen gegen hohe Funk­tio­näre, Still­stand in der Gesetz­ge­bung, Angriffe auf Akteure der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung – wo stehen die Anti­kor­rup­ti­ons­maß­nah­men in der Ukraine heute? Von Yaros­lav Yurchyshyn

Seit dem Beginn der Anti­kor­rup­ti­ons­re­for­men im Oktober 2014, als im Par­la­ment ein Paket von Anti­kor­rup­ti­ons­ge­set­zen ver­ab­schie­det wurde, nahmen drei neue Insti­tu­tio­nen ihre Arbeit auf:

Das Natio­nale Anti­kor­rup­ti­ons­büro der Ukraine (NABU, Leitung Artem Sytnyk) soll gezielt der poli­ti­schen Kor­rup­tion ent­ge­gen­wir­ken. Es ermit­telt in Kor­rup­ti­ons­fäl­len rang­ho­her Poli­ti­ker, Minis­ter und ihrer Stell­ver­tre­ter, Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ter, Gebiets­ver­wal­tungs­lei­ter, Leiter von Rechts­schutz­or­ga­nen und Richter sowie in Kor­rup­ti­ons­fäl­len von mehr als einer Million Hrywna (ca. 320.000 Euro) Schaden.

Die spe­zia­li­sierte Anti­kor­rup­ti­ons-Staats­an­walt­schaft (SAP, Leitung Nasar Cho­lod­nyz­kyj) ist eine eigen­stän­dige Abtei­lung der Gene­ral­staats­an­walt­schaft der Ukraine, die bevoll­mäch­tigt ist, vor Gericht Fälle zu ver­tre­ten, die unter die Juris­dik­tion des NABU fallen.

Die Natio­nale Agentur für Fragen der Kor­rup­ti­ons­prä­ven­tion (NASK, Lei­tungs­gre­mium, Vor­stand Nata­lija Kort­schak) soll Kor­rup­tion prä­ven­tiv ent­ge­gen­wir­ken, z. B. durch die Über­prü­fung der elek­tro­ni­schen Dekla­ra­tio­nen von Beamten, Kon­trolle von Par­tei­fi­nan­zen und Inter­es­sen­kon­flik­ten von Beamten. Darüber hinaus soll sie über die Ein­hal­tung der staat­li­chen Anti­kor­rup­ti­ons­po­li­tik wachen.

Zudem wurden zahl­rei­che weitere Prä­ven­tiv­maß­nah­men ein­ge­lei­tet. Dazu zählen ein völlig neues elek­tro­ni­sches und trans­pa­ren­tes Beschaf­fungs­we­sen (Pro­zorro), ein elek­tro­ni­sches System zur Qua­li­täts­kon­trolle im Gesund­heits­we­sen (eHealth) und der Bei­tritt zum inter­na­tio­na­len Open­Ow­ner­ship-Regis­ter. Diese Schritte sorgen für Trans­pa­renz und Ver­ant­wort­lich­keit und sind nicht nur auf natio­na­ler Ebene von großer Bedeu­tung, sondern auch auf lokaler. Denn die städ­ti­schen Haus­halte sind im Zuge der Dezen­tra­li­sie­rung um das Drei- bis Vier­fa­che gewach­sen, wirk­same Mecha­nis­men zur Aus­ga­ben­kon­trolle fehlten jedoch bisher.

NABU und SAP sind Lichtblicke

Nachdem 2014–2015 die gesetz­li­chen Grund­la­gen für eine Anti­kor­rup­ti­ons­re­form geschaf­fen wurden, erfolgte 2015–2016 der insti­tu­tio­nelle Aufbau. Anfang 2017 nahmen NABU und SAP ihre aktive Ermitt­lungs­ar­beit gegen füh­rende poli­ti­sche Ver­tre­ter auf. So wurde im März 2017 der Leiter der Staat­li­chen Steu­er­be­hörde Roman Nasirow, bis 2016 Abge­ord­ne­ter der Regie­rungs­par­tei Block Petro Poro­schenko, wegen Kor­rup­ti­ons­ver­dachts fest­ge­nom­men. Nur wenig später folgte im April die Fest­nahme Mykola Mar­ty­nen­kos, ehe­ma­li­ger Abge­ord­ne­ter der Volks­front und einer der engsten Ver­trau­ten von Expre­mier Arsenij Jazen­juk, wegen Ver­un­treu­ung. Im Juni wurden Maksym Pol­ja­kow (Volks­front) und Borys­law Rosen­blat (ehem. Block Petro Poro­schenko) der Ver­wick­lung in Amts­miss­brauch beschul­digt und ihre Immu­ni­tät auf­ge­ho­ben. Auch Jewhen Dejdej (Volks­front, Ver­trau­ter des Innen­mi­nis­ters Arsen Awakow) und Andrij Losowoj (rechte Hand des Vor­sit­zen­den der Radi­ka­len Partei Oleh Ljaschko) wurden der unge­setz­mä­ßi­gen Berei­che­rung beschuldigt.

Jüngst deckten NABU und SAP zwei Fälle im Ver­tei­di­gungs­sek­tor auf: So wird der stell­ver­tre­tende Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Ihor Paw­low­skyj des Miss­brauchs bei der Beschaf­fung von Kraft­stof­fen beschul­digt. Der ehe­ma­lige stell­ver­tre­tende Innen­mi­nis­ter Serhij Tsche­bo­tar soll zusam­men mit dem Sohn des mäch­ti­gen Innen­mi­nis­ters Awakow eben­falls in Kor­rup­tion ver­wi­ckelt sein.

In allen Fällen laufen Ermitt­lungs­ver­fah­ren und es wurden gericht­li­che Auf­la­gen verhängt.

Die kor­rup­ten Eliten schla­gen zurück

Natür­lich gibt es Ver­su­che, diese Fälle als poli­tisch moti­viert dar­zu­stel­len und zu ver­schlep­pen. Par­al­lel dazu wurde immer wieder ver­sucht, das NABU und die SAP zu dis­kre­di­tie­ren. So gab es Ver­su­che, die Voll­mach­ten dieser Insti­tu­tio­nen wieder der Staats­an­walt­schaft, die sie bis 2015 inne­hatte, zu über­tra­gen oder anderen Organen (Staats­an­walt­schaft, Polizei und Sicher­heits­dienst) zu geneh­mi­gen, gegen poli­ti­sche Eliten zu ermit­teln. Denn wenn ein anderes Organ einen Fall ein­stel­len würde, wäre es recht­lich unmög­lich, ihn erneut auf­zu­rol­len. Das konnte vorerst ver­hin­dert werden.

Es gibt immer wieder Ver­su­che, NABU und SAP zu diskreditieren 

Wei­ter­hin wurde ver­sucht, poli­tisch abhän­gige Mit­glie­der im Audit-Komitee für das NABU ein­zu­set­zen. Dieses kann die Abset­zung der NABU-Leitung emp­feh­len. Auf­grund des zivil­ge­sell­schaft­li­chen Wider­stands und der inter­na­tio­na­len Auf­merk­sam­keit konnte auch das bisher ver­hin­dert werden.

Aber nicht nur auf die neuen Insti­tu­tio­nen, sondern auch auf deren zivil­ge­sell­schaft­li­che Partner wuchs der Druck. Im März 2017 ver­fügte die Wer­chowna Rada auf Vor­schlag von Tetjana Tschor­no­wol (Volks­front), dass Anti­kor­rup­ti­ons­ak­ti­vis­ten elek­tro­ni­sche Dekla­ra­tio­nen über ihre Ein­künfte abgeben müssen. Der Leiter des Zen­trums für Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung Witalij Scha­bu­nin wurde über mani­pu­la­tive Medi­en­be­richte unter Druck gesetzt. Ver­tre­ter der Volks­front setzten mit­hilfe von Des­in­for­ma­tio­nen eine gezielte Dis­kre­di­tie­rungs­kam­pa­gne gegen Trans­pa­rency Inter­na­tio­nal Ukraine in Gang. Es kam sogar zu kör­per­li­chen Über­grif­fen: Im Oktober 2017 wurden die Ver­tre­ter des Char­ki­wer Anti­kor­rup­ti­ons-Zen­trums Dmytro Bulach und Jewhen Lisit­sch­kin zusammengeschlagen.

Die NASK ist ineffizient

Während die ersten beiden Insti­tu­tio­nen ein recht hohes Maß an Pro­fes­sio­na­li­tät und Unab­hän­gig­keit zeigen – vor allem deshalb, weil die Leiter und Mit­ar­bei­ter über offene Bewer­bungs­ver­fah­ren unter Betei­li­gung der Zivil­ge­sell­schaft und inter­na­tio­na­ler Exper­ten gewählt wurden – geriet die NASK sofort unter poli­ti­sche Kon­trolle und erwies sich als inef­fek­tiv. Die NASK schaffte es bisher ledig­lich, von den mehr als einer Million E‑Deklarationen etwa achtzig zu prüfen. Obwohl viele Spit­zen­be­amte unglaub­li­che Mengen an Bargeld und anderen Aktiva dekla­riert haben, deren Her­kunft sie nicht erklä­ren können, wurde bisher niemand zur Ver­ant­wor­tung gezogen. Nach der gras­sie­ren­den Kor­rup­tion unter Janu­ko­wytsch erwar­tete die Gesell­schaft Ermitt­lun­gen. Dass diese nicht statt­fin­den, sorgt für große Ent­rüs­tung. Die NASK selbst ist in interne Kon­flikte ver­strickt. Von den fünf nötigen Mit­glie­dern des Lei­tungs­gre­mi­ums arbei­ten derzeit nur drei. Ruslan Rja­boschapka, ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter der NASK und einer der Koau­to­ren der Gesetz­ent­würfe von 2014, war zurück­ge­tre­ten, da er sich in seiner Arbeit behin­dert sah. Auch der stell­ver­tre­tende Leiter der NASK Ruslan Radez­kyj wurde unter Druck gesetzt und trat zurück. Die NASK hat sich als unfähig erwie­sen, ihre Funk­tio­nen zu erfül­len, weshalb zwei Gesetz­ent­würfe ein­ge­reicht wurden, die einen Neu­start vor­schla­gen. Aller­dings kommt dem kor­rum­pier­ten Teil der Regie­rung ein untä­ti­ges Organ, das leicht für poli­ti­sche Zwecke instru­men­ta­li­siert werden kann, gelegen. So übt die NASK Druck aus, indem sie zum Bei­spiel Kon­trol­len des Zen­trums für Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung oder oppo­si­tio­nel­ler Abge­ord­ne­ter initi­iert – anstatt gegen Kor­rup­tion hoher Staats­be­diens­te­ter vorzugehen.

Die Gene­ral­staats­an­walt­schaft agiert unberechenbar

Bevor NABU und SAP ein­ge­rich­tet wurden, lag die poli­ti­sche Kor­rup­tion im Ver­ant­wor­tungs­be­reich der Gene­ral­staats­an­walt­schaft. Auch hier sind posi­tive Ent­wick­lun­gen zu ver­zeich­nen. Sie ermit­telt nicht nur gegen Wiktor Janu­ko­wytsch, sondern hat im Mai 2017 mehr als zwanzig Per­so­nen aus dem engsten Umfeld des ehe­ma­li­gen Minis­ters für Steuern Olek­sandr Kly­menko wegen Steu­er­de­lik­ten ver­haf­tet. Der Fall ist der bisher bedeu­tendste in der Geschichte der Ukraine, es wurden Ver­mö­gen und Aktiva im Wert von achtzig Mil­li­ar­den Hrywna beschlagnahmt.

Die Gene­ral­staats­an­walt­schaft wird benutzt, um poli­ti­schen Druck auszuüben 

Zugleich sind einige Akti­vi­tä­ten der Gene­ral­staats­an­walt­schaft kri­tik­wür­dig. Häufig wird die Gene­ral­staats­an­walt­schaft benutzt, um poli­ti­schen Druck aus­zu­üben. So wurden im Sommer gegen den reform­ori­en­tier­ten Finanz­mi­nis­ter Olek­sandr Dany­ljuk Ermitt­lun­gen auf­ge­nom­men und dann wieder ein­ge­stellt. Hin­ter­grund war seine Initia­tive, Roman Nasirow zu ent­las­sen und eine vom Sicher­heits­dienst der Ukraine (SBU) unab­hän­gige Finanz­po­li­zei ein­zu­rich­ten. Der SBU miss­braucht seine Funk­tion häufig und übt Druck auf Unter­neh­mer aus.

Das Jus­tiz­sys­tem bleibt die größte Herausforderung

Die größte Her­aus­for­de­rung bleibt das Gerichts­we­sen. Zu Beginn der Refor­men hat sich gezeigt, das selbst offene Bewer­bungs­ver­fah­ren keine Garan­tie bieten, geeig­nete Kan­di­da­ten in den Rich­ter­stand zu berufen. Vor allem, weil in den zustän­di­gen Kom­mis­sio­nen Richter der alten Garde die Mehr­heit bilden und offen­sicht­lich unpro­fes­sio­nelle Kan­di­da­ten emp­feh­len. Da vom NABU ein­ge­brachte Fälle vor Gericht oft ver­zö­gert behan­delt werden, reich­ten reform­ori­en­tierte Abge­ord­nete am 9. Februar 2017 einen Gesetz­ent­wurf zur Ein­rich­tung eines unab­hän­gi­gen Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts ein.

Die Ein­rich­tung von Anti­kor­rup­ti­ons­ge­rich­ten würde erst­mals pro­fes­sio­nelle, effek­tive und poli­tisch unab­hän­gige Ver­fah­ren wegen poli­ti­scher Kor­rup­tion ermög­li­chen. Doch obwohl IWF und EU ihre Kredite zum Teil von der Eta­blie­rung des Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts abhän­gig machen, brachte erst eine Ein­schät­zung der Venedig-Kom­mis­sion einen neuen Impuls. Prä­si­dent und Pre­mier­mi­nis­ter haben die Schaf­fung eines Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts in der ersten Hälfte des Jahres 2018 ver­spro­chen. Dafür müsste das ent­spre­chende Gesetz bis Ende 2017 ver­ab­schie­det werden. Die Wer­chowna Rada nahm – ent­ge­gen des Vor­schlags der Venedig-Kom­mis­sion – den ein­ge­brach­ten Gesetz­ent­wurf zur Eta­blie­rung von Anti­kor­rup­ti­ons­ge­rich­ten nicht zurück. Das wäre jedoch erfor­der­lich, damit der Prä­si­dent seinen Gesetz­ent­wurf zur Schaf­fung von Anti­kor­rup­ti­ons­ge­rich­ten ein­brin­gen kann. Somit ver­schleppt Poro­schen­kos eigene Partei das Verfahren.

Dabei würde die Schaf­fung eines Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts sowie ein Neu­start der NASK tat­säch­lich einen ernst­zu­neh­men­den Kampf gegen die Kor­rup­tion in naher Zukunft anregen. Ob dies bis zum Wahl­jahr 2019 gelingt, wenn Prä­si­dent und Par­la­ment neu gewählt werden, werden die nächs­ten Monate zeigen.


Aus dem Ukrai­ni­schen von Lydia Nagel.

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